Nach der Rechtsprechung des BGH (bspw. NJW 2003, 1118) ist die Missachtung des roten Ampellichts wegen der damit verbundenen erheblichen Gefahren in aller Regel als grob fahrlässig zu bewerten. Die Anwendung eines Anscheinsbeweises verbietet sich jedoch.
Der Anscheinsbeweis kommt nur in Betracht, "wenn ein Sachverhalt feststeht, bei dem der behauptete ursächliche Zusammenhang und/oder das behauptete Verschulden typischerweise gegeben sind. Es muss ein typischer Geschehensablauf feststehen, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder Folge oder auf Verschulden hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen trägt, dass die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktreten." (zuletzt BGH v. 9.9.2008 – VI ZR 279/06, VersR 2008, 1551).
Das erkennende Gericht muss, will es den Anscheinsbeweis anwenden, einen allgemeinen Erfahrungssatz – eine aus allgemeinen Umständen gezogene tatsächliche Schlussfolgerung – feststellen, aufgrund dessen sich der Schluss aufdrängt, eine bestimmte Folge sei auf eine bestimmte Ursache oder umgekehrt zurückzuführen oder der Handelnde habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt Die Kollision in einem beampelten Kreuzungsbereich ist daher (bis auf wenige Ausnahmen) dem Anscheinsbeweis nicht zugänglich, weil es an der für die Anwendung notwendigen Typizität fehlt. Dies im Wesentlichen aufgrund zweier streitentscheidenden Tatsachenfragen:
Wann (und wie weit zum Kollisionspunkt) sind die jeweiligen Fahrzeuge bei welchem Lichtzeichen über die Haltelinie gefahren und welche (mittleren) Geschwindigkeiten sind den beteiligten Fahrzeugen vorkollisionär und zum Zeitpunkt der Kollision zuzuordnen?
Bei der (vorläufigen) Beurteilung ist immer zwingend der Schaltplan der Ampel heranzuziehen. Oft unbekannt ist der Umstand, dass Ampelschaltungen den Richtlinien für Lichtsignalanlagen (RiLSA) entsprechen müssen. Innerhalb geschlossener Ortschaften ist – neben den relevanten Rot-, Gelb-, und Grünzeiten – dort auch eine sicherheitsrelevante Zwischenzeit von fünf Sekunden zwischen Grünende des Gegenverkehrs und Grünbeginn des anfahrenden Verkehrs vorgesehen.
Unter Berücksichtigung der an der Unfallstelle jedoch zulässigen Höchstgeschwindigkeit und den zu ermittelnden Wegstrecken zum Kollisionspunkt ist es oftmals schwer für die beweisbelastete Partei, nachzuweisen, dass der Unfallgegner bei für ihn angezeigten Rotlicht über die Haltelinie gefahren ist. Dies, weil (vom Gesetzgeber gewollt) die kritische Zwischenzeit bezüglich der feindlichen Fahrlinien (zugunsten des ordnungsgemäßen Verkehrsflusses) zuweilen zu kurz bemessen ist, sodass in technischer Hinsicht eine Kollision beider kreuzenden Fahrzeuge tatsächlich möglich ist, selbst wenn beide nicht bei Rotlicht über die Haltelinie fahren.
Daher ist es bei der sorgfältigen Erarbeitung des Prozessstoffes wichtig, nicht nur die Behauptung aufzustellen, die gegnerische Partei sei bei angezeigtem Rotlicht über die Haltelinie gefahren, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem nach dem (meist in der Bußgeldakte enthaltenen) Ampelsignalschema für die eigene Partei zwingend Grünlicht angezeigt worden sein muss. Anderenfalls droht – aufgrund der Besonderheiten der Beweislast – die Gefahr der Nichtaufklärbarkeit des Verkehrsunfalls.