[5] … “II. Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist begründet. Das LAG hat die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des ArbG zu Unrecht zurückgewiesen. Die Beklagte kann vom Kläger die Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten für das Berufungsverfahren verlangen. Ihre Prozessbevollmächtigten können für ihr Tätigwerden zumindest eine 1,1-fache Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG sowie die Pauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer beanspruchen. Die Verfahrensgebühr ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch erstattungsfähig i.S.d. § 91 ZPO.
[6] 1. Das LAG hat zutreffend unter Darstellung der Senatsrechtsprechung und der des BGH erkannt, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine anwaltliche Tätigkeit entfaltet haben, die die zuletzt zur Erstattung verlangte 1,1-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV RVG ausgelöst hat.
[7] a) Nach § 15 Abs. 1 RVG entgelten die Gebühren die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit. Zum jeweiligen Rechtszug gehören dabei auch Neben- und Abwicklungstätigkeiten (§ 19 Abs. 1 Satz 1 RVG). In § 19 Abs. 1 Satz 2 RVG hat der Gesetzgeber anhand von Regelbeispielen Tätigkeiten aufgeführt, die er als zum Rechtszug gehörig ansieht. Nach Nr. 9 dieser Bestimmung zählt dazu auch die Empfangnahme von Rechtsmittelschriften und ihre Mitteilung an den Auftraggeber.
[8] b) Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt in irgendeiner Weise über die genannten Neben- und Abwicklungstätigkeiten hinaus im Rahmen der Erfüllung seines Prozessauftrags tätig geworden ist. Eines nach außen erkennbaren Tätigwerdens bedarf es nicht; es genügt das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information des Mandanten. Der Rechtsanwalt hat die Gebühr verdient, wenn er Informationen entgegennimmt oder mit seinem Mandanten bespricht, wie er auf das von der Gegenseite eingeleitete Rechtsmittel reagieren soll. Auch die interne Prüfung, ob ein Mandant sich gegen das eingelegte Rechtsmittel wehren soll, lässt die Verfahrensgebühr entstehen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.10.2012 – IX ZB 62/10 – Rn 11 m.w.N., zfs 2013, 103 m. Anm. Hansens = RVGreport 2013, 58 (Hansens) = AGS 2013, 7).
[9] c) Wenn der Auftrag des Rechtsanwalts durch Rücknahme des Rechtsmittels endet, bevor ein Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht worden ist (vgl. zum Begriff des Einreichens BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17 – Rn 12, BGHZ 217, 287 = zfs 2018, 344 m. Anm. Hansens = RVGreport 2018, 179 (Hansens) = AGS 2018, 251), wird die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3201 VV RVG auf 1,1 ermäßigt. Dies setzt voraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Rechtsmittelgegners aufgrund eines ihm erteilten Auftrags schon vor der Rücknahme des Rechtsmittels das Geschäft i.S.v. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG betrieben hat (vgl. BGH, Beschl. v. 5.10.2017 – I ZB 112/16 – Rn 13, AGS 2018, 154 = RVGreport 2018, 143 (Hansens)).
[10] d) Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben Tätigkeiten entfaltet, die über Neben- und Abwicklungstätigkeiten i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 RVG hinausgehen, indem sie mit Schriftsatz vom 14.10.2022 gegenüber dem Landesarbeitsgericht ihre Vertretung angezeigt und beantragt haben, die Berufung des Klägers zu verwerfen bzw. zurückzuweisen.
[11] 2. Die Kosten der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind entgegen der Auffassung des LAG auch in vollem Umfang gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO erstattungsfähig.
[12] a) Nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei – und in den Fällen der §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO der Berufungskläger – die dem Gegner erwachsenden Kosten zu tragen, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Für die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei regelt § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO, dass diese in allen Prozessen zu erstatten sind. Die Vorschrift bildet insofern eine Ausnahme, als sie für ihren Anwendungsbereich von der grundsätzlich gebotenen Prüfung der Notwendigkeit entstandener Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entbindet (BGH, Beschl. v. 7.2.2018 – XII ZB 112/17 – Rn 17 m.w.N., BGHZ 217, 287= zfs 2018, 344 m. Anm. Hansens = RVGreport 2018, 179 (Hansens) = AGS 2018, 251; BAG, Beschl. v. 18.11.2015 – 10 AZB 43/15 – Rn 18 m.w.N., BAGE 153, 261 = AGS 2016, 98 = RVGreport 2016, 109 (Hansens)).
[13] b) Allerdings unterliegt die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 ZPO dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot.
[14] aa) Nach diesem Grundsatz trifft jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit d...