IfSG §§ 6, 7; AVB Betriebsunterbrechungsversicherung von Hotels § 5
Leitsatz
Verspricht ein Versicherer eine Entschädigung, wenn die zuständige Behörde zur Verhinderung der Verbreitung von im Infektionsschutzgesetz "namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserregern" eine (Teil-)Betriebsschließung eines Hotels anordnet, so sind damit auch Maßnahmen aufgrund des im Infektionsschutzgesetz nicht genannten Sars-Cov2-Virus erfasst.
(Leitsatz der Schriftleitung)
LG Mannheim, Urt. v. 29.4.2020 – 11 O 66/20
Sachverhalt
Die Verfügungsklägerin begehrt von der Verfügungsbeklagten Leistungen aus einer Betriebsunterbrechungsversicherung im Wege der einstweiligen Verfügung. Sie betreibt unter anderem in B und H drei Hotels mit Restauration. Zwischen den Parteien bestehen für diese Hotels jeweils Betriebsunterbrechungsversicherungsverträge. Die Haftzeit bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen beträgt bei allen Verträgen 30 Tage. Es ist jeweils ein Tageshöchstsatz vereinbart.
Die für diese Verträge geltenden AVB lauten u.a.:
"§ 5"
1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)
a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt.(…)
2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger (…).“
Aufgrund der epidemischen Ausbreitung des Corona-Virus sind in B und H Regelungen getroffen worden, nach denen Übernachtungsangebote im Beherbergungsgewerbe nicht für touristische Zwecke bereitgestellt werden dürfen.
Am 17.3.2020 wurde der Verfügungsbeklagten seitens der Verfügungsklägerin in den drei streitgegenständlichen Verträgen jeweils der Eintritt des Versicherungsfalls gemeldet.
Die Verfügungsklägerin behauptet, sie habe ihre Betriebe schließen müssen. Einer Betriebsschließung stehe nicht entgegen, dass theoretisch die Möglichkeit bestünde, nicht touristische Übernachtungen anzubieten, da diese derzeit ebenfalls nicht bzw. in einem verschwindend geringen Umfang stattfänden und ohnehin einen nur kleinen Prozentsatz aller Übernachtungen ausmachten.
2 Aus den Gründen:
"… Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zwar zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Es mangelt an einer ausreichenden Glaubhaftmachung der Anspruchshöhe des Verfügungsanspruchs (dazu 1.) sowie an einem Verfügungsgrund (dazu 2.)"
1. Die Kammer ist zwar der Ansicht, dass der Verfügungsklägerin aus den zwischen den Parteien bestehenden Betriebsunterbrechungsversicherungen jeweils ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zusteht. Es liegt eine bedingungsgemäß versicherte faktische Betriebsschließung vor.
Zunächst ist bei der gebotenen Auslegung von § 5 Nr. 2 der … Bedingungen 2010 das SARS-Corona-Virus ein meldepflichtiger Krankheitserreger beziehungsweise die dadurch ausgelösten Erkrankungen meldepflichtige Krankheiten. Maßstab der Auslegung ist, wie ein durchschnittlicher VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss. Ein individuelles Sonderwissen eines VN ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH, VersR 2004, 1039; BGH, VersR 2002, 1503). Verbleibende Zweifel gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.
Bei dieser Auslegung könnte die Formulierung “die in §§ 6, 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger' entweder eine statische Verweisung auf die bei Vertragsschluss in diesen Normen aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger bedeuten oder im Sinne einer dynamischen Verweisung letztlich alle – auch bei nachträglichen Gesetzesänderungen – unter diese Vorschriften fallenden meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger umfassen. Für die letztgenannte Auslegung spricht, dass in diesen Bedingungen gerade keine enumerative Aufzählung von verschiedenen Erregern beziehungsweise Krankheiten erfolgte, sondern die §§ 6, 7 IfSG in Bezug genommen werden. In § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG findet sich jedoch eine generalklauselartige Formulierung, dass auch nicht nach den Nummern 1 bis 4 bereits meldepflichtigen bedrohliche übertragbare Krankheiten zu melden sind. Selbst der verständige VN dürfte in einem solchen Fall davon ausgehen, dass alle unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Erreger und Krankheiten Grundlage der Betriebsschließung sein können. Erst recht wird er davon ausgehen, dass spätere Änderungen dieser Normen auf den Vertrag Anwendung finden. Das liegt auch im Interesse des VR, da nicht ausgeschlossen ist, dass bestimmte Krankheiten aus diesem Gesetz zukünftig wieder herausgenommen werden. Gegen eine weite Auslegung spricht zwar das Interesse des VR, die Auflistung nur auf bekannte Erreger und Krankheiten, gegen die bereits Medikamente und Impfsto...