[…] II. Das Rechtsmittel hat mit der nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge einer Verletzung der Hinweispflicht Erfolg, weil der Betroffene und seine Verteidigung während des gerichtlichen Verfahrens entgegen den §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO nicht auf die Möglichkeit einer von der rechtlichen Beurteilung des Bußgeldbescheids abweichenden Verurteilung wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes in der gebührenden Weise hingewiesen wurde. Auf die weiteren verfahrensrechtlichen und die sachlich-rechtlichen Beanstandungen der Rechtsbeschwerde kommt es nicht mehr an.
1. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer vorgenannten Antragsschrift vertretenen Auffassung ist die Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO zulässig ausgeführt.
a) Von der Rechtsbeschwerde werden gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO im Rahmen der Rechtsbeschwerdebegründung alle wesentlichen den Mangel enthaltenden Verfahrenstatsachen aus sich heraus verständlich und derart vollständig, genau und bestimmt mitgeteilt, dass der Senat in den Stand gesetzt ist, allein aufgrund des Rügevorbringens zu prüfen, ob der gerügte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.
b) Die Zulässigkeit der Rüge setzt nicht voraus, dass der Beschwerdeführer vorträgt, wie er sich im Falle eines ordnungsgemäß erteilten Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO verteidigt hätte. Denn für die Beurteilung eines Verstoßes gegen diese Norm kommt es hierauf nicht an. Dem steht die von der GenStA zitierte Entscheidung des Senats vom 21.1.2022 (BayObLG NZV 2022, 482 = BeckRS 2022, 3278) nicht entgegen. Denn dieser Entscheidung lag eine andere Verfahrenskonstellation zugrunde. Dort ging es um die Rügeanforderungen für die alleinige Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, den der Beschwerdeführer darin erblickt hatte, dass das Tatgericht gerichtsbekannte Tatsachen ohne ordnungsgemäßen Hinweis im Urteil verwertet hatte. Für diese Rüge hat der Senat (a.a.O.) entschieden, dass es einer Darlegung dazu bedarf, was der Betroffene im Falle der ordnungsgemäßen Anhörung geltend gemacht bzw. wie er seine Rechte wahrgenommen hätte. Denn die Beurteilung, ob der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wurde, ist nur möglich, wenn klar ist, welcher Vortrag dem Betroffenen durch die Vorgehensweise des Gerichts abgeschnitten wurde. Im vorliegenden Verfahren macht die Rechtsbeschwerde aber keineswegs allein einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör geltend, sondern beanstandet mit der zusätzlichen Angriffsrichtung ausdrücklich zugleich einen "Verstoß gegen § 265 StPO".
2. Die Rüge ist auch begründet, weil ein gerichtlicher Hinweis auf die Möglichkeit eines von der Schuldform des Bußgeldbescheids abweichenden Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes nach § 24 StVG i.V.m. §§ 3 Abs. 3 Nr. 2c, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO nicht wirksam erteilt worden ist.
a) Die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf eine möglicherweise veränderte rechtliche Bewertung, zu der die Annahme einer vorsätzlichen statt fahrlässigen Schuldform zählt (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 65. Aufl. § 265 Rn 11; KK StPO/Bartel § 265 Rn 11; BeckOK StPO/Eschelbach § 265 Rn 14; MüKo StPO/Norouzi § 265 Rn 21; Göhler/Seitz/Bauer OWiG 18. Aufl. § 71 Rn 50), dient der Sicherung der umfassenden Verteidigung des Betroffenen und der Gewährleistung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Die oder der Betroffene soll ihre bzw. seine Verteidigung auf den veränderten Gesichtspunkt einrichten können. Der Hinweis muss deshalb geeignet sein, dem Betroffenen Klarheit über die tatsächliche Grundlage des abweichenden rechtlichen Gesichtspunktes zu verschaffen und ihn vor einer Überraschungsentscheidung zu bewahren (BGH, Beschl. v. 20.5.2021 – 3 StR 443/20, BeckRS 2021, 25475; treffend zuletzt OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2022 – 1 Ss-OWi 1149/22).
b) Zwar erfolgte ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis in der Hauptverhandlung vom 23.9.2022. Wird die oder der Betroffene jedoch – wie hier – von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden und nimmt weder der Betroffene noch sein Verteidiger an dieser tatsächlich teil, reicht ein Hinweis auf eine abweichend vom Bußgeldbescheid in Betracht kommende Verurteilung wegen Vorsatzes nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung nicht aus. Vielmehr ist in diesen Fällen erforderlich, dass der Hinweis schriftlich erfolgt, wozu – falls der Hinweis nicht schon vor der Hauptverhandlung erteilt wird – eine Unterbrechung oder Vertagung der Hauptverhandlung geboten ist, um dem Betroffenen und der Verteidigung innerhalb angemessener Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (st.Rspr.; vgl. u.a. OLG Bamberg, Beschl. v. 2.5.2017 – 2 Ss OWi 293/17, BeckRS 2017, 116921).
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rec...