„ … 1. Die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG hat gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG auf die wegen desselben Gegenstandes später anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zu erfolgen vor der Ermittlung der Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG und nicht auf diese (Leitsatz OLG Stuttgart, JurBüro 2009, 246).

Das OLG Stuttgart hat hierzu ausgeführt:

“Ausgehend vom Wortlaut der Anrechnungsvorschrift gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV und der Rspr. des BGH ist von Folgendem auszugehen: Die Anrechnungsvorschrift bezweckt unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt die Kürzung der Verfahrensgebühr, weil der Prozessbevollmächtigte aufgrund seiner vorprozessualen Befassung mit dem Streitstoff in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Dementsprechend besagt Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV, dass die Anrechnung vorzunehmen ist, wenn “wegen desselben Gegenstands’ die vorgerichtliche Geschäftsgebühr und die gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden sind. Hierfür spricht außerdem, dass der BGH (u.a. BGH NJW 2007, 3500; BGH NJW 2008, 1323) klargestellt hat, dass sich allein die wegen desselben Gegenstands später anfallende Verfahrensgebühr infolge der Anrechnung reduziert durch den anrechenbaren Teil der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr, die ihrerseits von der Anrechnung unangetastet bleibt.’

Der Senat schließt sich dieser Bewertung an. Dagegen spricht im Ergebnis nicht die Überlegung des AG, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach der für den Kostenpflichtigen günstigsten Berechnungsmethode zu erfolgen hat. Das Gebührenrecht sucht einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Partei und des Rechtsanwalts. Einen Grundsatz, dass im Zweifel immer zugunsten der Partei zu entscheiden ist, gibt es hierbei nicht. Vorliegend ist eine pauschale Entscheidung zugunsten der Partei sachlich auch deswegen nicht überzeugend, weil der Grund der Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG darin liegt, dass der vorgerichtliche Aufwand die Arbeit im späteren gerichtlichen Verfahren erleichtert. Diese Überlegung gilt jedoch nur für den Synergieeffekt, der aus der Einheitlichkeit des vorgerichtlichen und des gerichtlichen Streitgegenstands entsteht. Im Fall des Vergleichs nicht rechtshängiger Ansprüche besteht diese Einheitlichkeit des Streitgegenstands nicht. Es werden hier Streitgegenstände in die Arbeit des Rechtsanwalts einbezogen, die zuvor gerade nicht Gegenstand seiner außergerichtlichen Tätigkeit waren. Sollte der Rechtsanwalt auch für die mitverglichenen nicht rechtshängigen Streitgegenstände außergerichtlich tätig gewesen sein, würde bei der Abrechnung möglicherweise auch für diese Streitgegenstände eine Anrechnung von außergerichtlich angefallenen Geschäftsgebühren gem. Nr. 2300 VV RVG auf die Verfahrensgebühren aus dem Mehrwert des Vergleichs in Betracht kommen. Dies wird vorliegend jedoch nicht geltend gemacht. Es würde auch an dem o.g. Grundsatz, wonach die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG vor der Ermittlung der Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG zu erfolgen hat, nichts ändern.

2. Wird im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in einem anhängigen Verfahren zugleich auch über nicht rechtshängige Ansprüche mit dem Ziel der Einigung verhandelt, entsteht eine 1,2 Terminsgebühr aus dem aus den Werten der rechtshängigen und der nicht rechtshängigen Ansprüche gebildeten Gesamtwert (vgl. Leitsatz OLG Stuttgart, JurBüro 2006, 640; siehe auch OLG Naumburg, JurBüro 2010, 644).

Es besteht Einigkeit, dass Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 3 VV RVG dahingehend auszulegen ist, dass die Terminsgebühr auch hinsichtlich nicht rechtshängiger Ansprüche entsteht, soweit über diese im gerichtlichen Verfahren verhandelt und eine Einigung erzielt wird. Dies gilt gem. Nr. 3104 Abs. 3 VV RVG nur dann nicht, wenn lediglich beantragt ist, eine Einigung der Parteien über nicht rechtshängige Ansprüche zu Protokoll zu nehmen (a.a.O. m.w.N.). Vorliegend hat nach dem zutreffenden Vortrag der Bekl.-Vertreterin im Termin v. 23.9.2009 nicht nur eine einfache Protokollierung, sondern zuvor auch eine Erörterung der nicht rechtshängigen Gegenstände des Vergleichs stattgefunden. Auch für diese ist somit eine Terminsgebühr angefallen. Etwas anderes folgt nicht aus Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG. Zwar weist das AG insoweit zu Recht darauf hin, dass diese Vorschrift offensichtlich die Konstellation regelt, in der Streitgegenstände verhandelt werden, die Gegenstand eines anderen gerichtlichen Verfahrens sind, welche Konstellation vorliegend nicht gegeben ist, da die mit verglichenen Streitgegenstände bisher gerichtlich nicht anhängig waren. Die Tatsache, dass kein Fall von Nr. 3104 Abs. 2 VV RVG vorliegt, steht jedoch nicht der Auslegung von Nr. 3104 Abs. 3 VV RVG in dem o.g. Sinne entgegen.“

Eingesandt von den Rechtsanwälten Dr. Klees und Klees-Wambach, Freiburg

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