Die Lektüre von Schmerzensgeldentscheidungen, die Narben betreffen, zeigt, dass verletzte Frauen unter vergleichbaren Bedingungen höhere Schmerzensgelder als verletzte Männer bekommen.
Für eine deutlich sichtbare Narbe auf der Stirn als Folge eines Faustschlags hat das Amtsgericht Aachen für den verletzten Mann 750 EUR ausgeworfen, einer Frau sprach das Amtsgericht Mannheim für eine unschöne Narbe am Unterarm, die durch einen Hundebiss entstand, 2.000 EUR zu. Für eine lange Narbe in der rechten Gesichtshälfte trotz einer Mithaftung von 70 % hat das Amtsgericht Dresden einer Frau 2.500 EUR gewährt.
In einigen Entscheidungen, die noch sensiblere Bereiche betreffen, werden diese unterschiedlichen Beträge damit gerechtfertigt, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts und der Bedeutung der weiblichen Schönheit härter betroffen seien. Die Wertschätzung und das Ansehen einer jungen Frau hingen nämlich nicht unwesentlich vom äußeren Erscheinungsbild ab. Im Hinblick auf eine 2,5 × 5 cm große Bisswunde am rechten Busen eines 17-jährigen Mädchens führt das Amtsgericht Duisburg aus, die Narbe an der Brust sei im bekleideten Zustand zwar nicht zu sehen, dennoch sei nachvollziehbar, dass die Klägerin hierdurch in der Wahrnehmung der eigenen Weiblichkeit in einer nicht unerheblichen Weise beeinträchtigt sei.
Solche Differenzierungen und die dafür gegebenen Begründungen sind weder überzeugend, noch sind sie mit dem Grundgesetz und dem Gleichbehandlungsgesetz in Einklang zu bringen. Sie sind möglicherweise ein Ausgleich dafür, dass sich die Situation bei Verletzung der primären Geschlechtsorgane genau umgekehrt darstellt. Hier werden Frauen durch geringere Schmerzensgelder benachteiligt.
Die primären Geschlechtsorgane von Mann und Frau sind unterschiedlich. Dennoch rechtfertigen sich gravierende Unterschiede in der Höhe des Schmerzensgelds bei halbwegs vergleichbaren Verletzungsfolgen nicht. Dies gilt z.B. für den Verlust eines Hodens oder eines Eileiters. Da in beiden Fällen die Zeugungsfähigkeit weiterbesteht, weil es sich um paarige Organe handelt, kann man den Verlust eines Hodens beim Mann mit dem Verlust eines Eileiters bei einer Frau vergleichen (siehe unter B.).
Gleiches gilt für den Verlust der Zeugungsfähigkeit (siehe unter C.) oder schwereren Verletzungen, bei denen der Verlust der Zeugungsfähigkeit noch mit Inkontinenz und Mastdarmentleerungsstörungen verbunden ist (siehe unter D.) oder bei leichten, vorübergehenden Verletzungen im Genitalbereich (siehe unter E.). Überprüft man die Schmerzensgeldtabellen in diesen Bereichen, ergibt sich exemplarisch folgendes Bild.