RL 91/439/EWG Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2; RL 2006/126/EG Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2
Es ist zu erwarten, dass der Europäische Gerichtshof seine Rspr. zu den Voraussetzungen einer Ausnahme von der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen auch unter der Geltung des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG aufrechterhalten wird.
OVG des Saarlandes, Beschl. v. 16.6.2010 – 1 B 204/10
Aus den Gründen:
“…1. … Der die fehlende Berechtigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet feststellende Bescheid des Antragsgegners wird sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, da er den Kriterien, die der EuGH zur Auslegung des Art. 8 Abs. 4 UAbs. 2 RL 91/439/EWG entwickelt hat, nicht genügt.
Wie das VG des Saarlandes [Beschl. v. 27.5.2010 – 10 L 231/10] zutreffend herausgearbeitet hat, legt der EuGH die genannte Vorschrift in ständiger Rspr. dahingehend aus, dass eine Verpflichtung zur Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaat außerhalb einer Sperrfrist ausgestellten Fahrerlaubnis nur dann nicht besteht, wenn der neue Führerschein unter Missachtung des in der Richtlinie verankerten Wohnsitzerfordernisses ausgestellt worden ist. Ein solcher Ausnahmefall liegt nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht vor.
Dass dem Antragsteller seine außerhalb einer Sperrfrist erworbene tschechische Fahrerlaubnis unter Missachtung des Wohnsitzerfordernisses erteilt worden wäre, kann nach dem Stand des Verfahrens nicht angenommen werden. Im Führerschein selbst ist als Wohnsitz der tschechische Ort Stribro’ eingetragen, wobei dem Antragsgegner nach Aktenlage keine unbestreitbaren, aus dem Ausstellermitgliedstaat stammenden Informationen i.S.d. Rspr. des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, Beschl. v. 9.7.2009 – C-445/08 –, DAR 2009, 637) vorliegen, die beweisen, dass der Antragsteller seinen ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis nicht im Gebiet der Tschechischen Republik hatte.
Nach derzeitigem Verfahrensstand hängt die Beantwortung der Frage, ob der angefochtene Bescheid des Antragsgegners sich im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird, daher entscheidend davon ab, ob die in Bezug genommene Rspr. des EuGH auch hinsichtlich Führerscheinen, die nach dem 19.1.2009 in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden sind, Geltung beansprucht. Diese Frage ist aus Sicht des Senats zu bejahen. Es ist nämlich mit einem sehr hohen Grad an Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der EuGH seine zu Art. 8 Abs. 4 RL 91/439/EWG entwickelte Rspr. unter der Geltung des Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG aufrecht erhalten wird.
Zunächst teilt der Senat die Auffassung des VG, wonach u.a. Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG am 19.1.2009 in Kraft getreten ist. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des VG wird Bezug genommen.
Die Prognose, dass der EuGH seine Rspr. zur Auslegung des Art. 8 Abs. 4 RL 91/439/EWG unter der Geltung der Richtlinie 2006/126/EG aufrechterhalten wird, hat der Senat bereits anlässlich seines Beschlusses vom 23.1.2009 (OVG des Saarlandes, Beschl. v. 23.1.2009 – 1 B 438/08 –, [zfs 2009, 236 =] AS RP-SL 2009, 139 ff.) im Rahmen ergänzender Erwägungen unter Hinweis auf die allein die Rechtsfolgenseite betreffenden Änderungen der neu gefassten Richtlinie als angezeigt erachtet, ohne sich allerdings vertiefend mit der Problematik auseinanderzusetzen.
Auch nach Dafürhalten des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (HessVGH, Beschl. v. 4.12.2009 – 2 B 2138/09 –, BA 47, 154 ff.) und des OVG Rheinland-Pfalz (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 17.2.2010 – 10 B 11351/09 –, juris) ergibt sich aus der Neufassung der Führerscheinrichtlinie nicht, dass die zu Art. 8 Abs. 4 RL 91/439/EWG ergangene Rspr. des EuGH unter der Geltung der Richtlinie 2006/126/EG nicht mehr anzuwenden wäre.
Beide Gerichte begründen ihre Auffassung überzeugend damit, dass die maßgeblichen Vorschriften fast vollständig inhaltsgleich fortgelten, da nur bezüglich des Art. 11 Abs. 4 RL 2006/126/EG Änderungen vorgenommen wurden, die sich allerdings auf die Rechtsfolgenseite beschränken. Unverändert gelte, dass die Nichtanerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sich als Ausnahme zu dem in der Richtlinie verankerten Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung darstellt und die eine ausnahmsweise Nichtanerkennung vorsehende Vorschrift des Art. 11 Abs. 4 UAbs. 2 RL 2006/126/EG daher eng auszulegen sei. Dem ist zuzustimmen.
Zur Auslegung der Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1a und b, 8 Abs. 2 und 4 RL 91/439/EWG vertritt der EuGH in ständiger Rspr. (EuGH, Urt. v. 29.4.2004 – C-476/01 –, juris [zfs 2004, 287], und v. 26.6.2008 – verbundene Rechtssachen C-329/06 und C-343/06 –, [zfs 2008 473 =], NJW 2008, 2403 ff. sowie verbundene Rechtssachen C-334/06 bis C-336/06, DAR 2008, 459 ff.) die Auffassung, dass Art. 1 Abs. 2 RL 91/439/EWG den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung ausgestellter Führerscheine au...