„… Die Berufung des Bekl. ist zulässig und weitestgehend begründet. Nach der in der Berufung ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass das Bekl.-Fahrzeug im Moment der Kollision zum Stillstand gekommen war und dessen Fahrerin auch kein sonstiges Verschulden an dem Zustandekommen des Unfalls trifft. Die Widerbekl. haften daher umständehalber für das Unfallgeschehen allein.

Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl.- als auch die Kl.-Seite grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies gilt auch, soweit einer der Parteien – wie hier – den Nachweis erbracht hat, dass der Fahrer eines der unfallbeteiligten Fahrzeuge vorkollisionär zum Stehen gekommen ist. Denn auch insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer mittels frühzeitigerem Warnzeichen den Unfall hätte verhindern können.

Soweit das Erstgericht angenommen hat, der Unfall sei durch ein Verschulden der Widerbekl. zu 2) verursacht worden, ist dies nicht zu beanstanden.

Allerdings kommt – wovon das Erstgericht letztlich auch ausgeht – § 9 Abs. 5 StVO, wonach sich der rückwärts Fahrende so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, auf Parkplätzen nur eingeschränkt zur Anwendung. Die Vorschrift regelt nämlich die besondere Sorgfaltspflicht des rückwärts Fahrenden gegenüber dem fließenden und deshalb in der Regel rascheren Verkehr. Auf einem Parkplatz, dem – wie im Streitfall – der eindeutige Straßencharakter mangels besonderer Markierungen fehlt und der daher allein dem ruhenden Verkehr dient, muss jedoch anders als im fließenden Verkehr jederzeit mit rangierenden und damit auch rückwärts fahrenden Fahrzeugen gerechnet werden, so dass § 9 Abs. 5 StVO und der dem rückwarts Fahrenden auferlegte Gefährdungsausschluss keine unmittelbare Anwendung findet; stattdessen ist hier das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme (§ 1 Abs. 2 StVO) zu beachten (vgl. etwa Urt. der Kammer v. 14.11.2008 – 13 S 126/08 und v. 12.2.2010 – 13 S 239/09; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., 27. Kap. Rn 302; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 9 StVO Rn 51 jew. m.w.N.). Die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO sind indes mittelbar heranzuziehen, weil beim Rückwärtsfahren die Sichtverhältnisse gegenüber dem vorwärts Fahren nicht unerheblich eingeschränkt sind, sodass diesem Fahrmanöver auch auf Parkplätzen eine höhere Gefahr als dem vorwärts fahrenden Fahrzeug inne wohnt; den rückwärts Fahrenden trifft daher auch auf Parkplätzen eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht.

Zu Recht ist das Erstgericht auch davon ausgegangen, dass die Widerbekl. sorgfaltswidrig gehandelt hat. Nach den auf den überzeugenden Darlegungen des gerichtlichen Sachverständigen beruhenden Feststellungen des Erstgerichts war das Kl.-Fahrzeug im Zeitpunkt der Kollision nicht zum Stillstand gebracht worden, mithin das Bekl.-Fahrzeug erst zu spät bemerkt worden, um noch rechtzeitig anhalten zu können. Damit trifft die Widerbekl. zu 2) ein gewichtiges Verschulden an dem Unfallgeschehen. Soweit sich die Widerbekl. demgegenüber in ihrer erneuten Anhörung in der Berufungsinstanz dahin eingelassen haben, das Kl.-Fahrzeug sei vorkollisionär zum Stehen gekommen, vermag die Kammer dem mit Blick auf die entgegenstehenden, in sich überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht zu folgen.

Soweit das Erstgericht hingegen auch von einem Verstoß der Fahrerin des Bekl.-Fahrzeuges, der früheren Zweitbekl. … , gegen die Wertung des § 9 Abs. 5 StVO ausgegangen ist, hat die zweitinstanzliche Beweisaufnahme dies entkräftet. Ein Verschulden von ihr ist nicht nachgewiesen.

Das Erstgericht ist davon ausgegangen, dass den auf einem Parkplatz rückwärts Ausparkenden ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden trifft, wenn sich in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem rückwärtigen Ausparken ein Verkehrsunfall ereignet. Dies ist zutreffend und entspricht auch der Rspr. der Kammer (vgl. zuletzt etwa KG, Urt. v. 25.1.2010 – 12 U 108/09 = MDR 2010, 503; vgl. auch Urt. der Kammer v. 12.2.2010 – 13 S 239/09).

Das Erstgericht ist ferner davon ausgegangen, dass dieser Anscheinsbeweis erst erschüttert sei, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Zurücksetzende zum Kollisionszeitpunkt bereits längere Zeit zum Stehen gekommen war. Diese Auffassung, die in Übereinstimmung mit einer gefestigten Rspr. steht (vgl. KG MDR 2010, 503; VRS 108, 190; OLG Köln DAR 2006, 27; LG Bochum VRR 2009, 304; LG Bonn, Urt. v. 21.1.2009 – 10 S 107/08, zitiert nach juris; LG Bad Kreuznach zfs 2007, 559; LG Arnsburg, Urt. v. 27.9.2005 – 5 S 58/05, zitiert nach ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?