FeV § 46 Abs. 2; Anlage 4 FeV Nr. 6.1; Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Ziff. 3.9.1
Leitsatz
1. Während die in Anlage 4 FeV aufgeführten Erkrankungen und Mängel die Vermutung der Fahreignungsrelevanz in sich tragen, ist bei sonstigen Erkrankungen neben der Frage des Vorliegens bzw. des Ausprägungsgrades auch zu fragen, ob ein hinreichend enger Zusammenhang mit den spezifischen Anforderungen der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr gegeben ist. Das Krankheitsbild muss dabei geeignet sein, sich im Straßenverkehr gefahrerhöhend auszuwirken (wie NdsOVG, Urt. v. 18.4.2016 – 12 LB 178/15, juris Rn 34).
2. In Bezug auf die motorischen Fähigkeiten wird die MS grds. wie eine Erkrankung/Verletzung des Rückenmarks und deren Folgen gem. Anlage 4 FeV Nr. 6.1 behandelt und insoweit als fahreignungsrelevant betrachtet. Allein die Diagnose einer milden MS ohne die zeitgleiche Feststellung weiterer Auffälligkeiten und ohne die Erwartung von Auffälligkeiten in den nächsten Jahren rechtfertigt aber die Annahme einer nur bedingten Fahreignung und damit die Anordnung regelmäßiger Nachuntersuchungen nicht.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 26.4.2017 – 4 LA 4/17
Sachverhalt
Der 1997 geborenen Kl. wurde auf ihren Antrag hin die Fahrerlaubnis der Klasse B am 29.5.2015 erteilt. Mit ihrem Antrag hatte sie das ärztliche Attest einer Fachärztin für Innere Medizin v. 5.12.2014 eingereicht, wonach sie unter einer Multiplen Sklerose (im Folgenden: MS) leide und regelmäßig neurologisch untersucht werde. Es seien keine neurologischen Ausfallerscheinungen bekannt und das Reaktionsvermögen sei nicht eingeschränkt. Die letzte ophthalmologische Untersuchung sei unauffällig. Es bestünden keine Bedenken beim Führen eines Kfz im Straßenverkehr. Eine regelmäßige neurologische Kontrolluntersuchung sei notwendig und werde zurzeit in halbjährlichen Abständen durchgeführt. Hieraus schloss die Bekl., dass die Kl. nur bedingt geeignet zum Führen von Kfz sei und ordnete mit Bescheid v. 12.6.2015 gem. § 46 Abs. 2 FeV die halbjährliche Beibringung ärztlicher Bescheinigungen zu der Frage an, ob aus ärztlicher Sicht Bedenken gegen das Führen von Kfz der Klasse B bestünden. Im Widerspruchsverfahren wies die Kl. darauf hin, dass ihre Fahreignung nach dem ärztlichen Attest uneingeschränkt bestehe und legte ein aktuelles und gleichlautendes Attest v. 6.7.2015 vor. Im Widerspruchsbescheid v. 13.10.2015 führte die Bekl. aus, dass die Anforderungen an die Kraftfahreignung gem. Anlage 4 und 5 zur FeV zwar erreicht seien, eine regelmäßige Untersuchung jedoch nach ärztlichem Attest erforderlich sei, um die Überprüfung zu gewährleisten, dass die Fahreignung weiterhin bestehe.
Mit der gegen die Auflage erhobenen Anfechtungsklage hat die Kl. ein weiteres ärztliches Attest vorgelegt. Danach waren weiterhin keine neurologischen Ausfallserscheinungen bekannt geworden. Auch das Reaktionsvermögen sei nicht eingeschränkt. Seit 2013 sei es zu keinem erneuten Schub der bekannten MS gekommen, weshalb keine Bedenken beim Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr bestünden. Eine regelmäßige neurologische Verlaufsuntersuchung werde durchgeführt. In einer ärztlichen Stellungnahme der Klinik für Kinder und Jugendmedizin, Abteilung Neuropädiatrie der Universitätsmedizin Göttingen v. 28.10.2015 heißt es unter anderem, dass bei der Patientin nur eine sehr milde MS vorliege, die unter der derzeitigen Therapie so gut kontrolliert sei, dass außer dem ersten Schub seit 2012 keine weiteren Auffälligkeiten aufgetreten seien. Erfahrungsgemäß behielten Patienten, die am Anfang einen sehr milden Verlauf hätten, diesen auch lebenslang bei. Es sei daher nicht zu erwarten, dass in den nächsten Jahren bei der Patientin Behinderungen auftreten würden, die ihre Fahrtüchtigkeit beeinträchtigten. Das halbjährliche Einholen eines ärztlichen Attestes erscheine daher aus medizinischer Sicht als eine unnötige Härte, die für die Patienten zu erheblichen zeitlichen aber auch finanziellen Aufwendungen führe.
Das Schleswig-Holsteinische VG hat die angefochtenen Bescheide durch Urt. v. 8.3.2016 aufgehoben, weil sich eine nur bedingte Fahreignung i.S.d. § 46 Abs. 2 FeV nicht allein aus der Diagnose einer MS begründen lasse. Vielmehr sei die Frage der Eignung oder bedingten Eignung zum Führen von Kfz u.a. der Klasse B entsprechend Nr. 6.1 der Anlage 4 FeV und Ziff. 3.9.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in Abhängigkeit von der Symptomatik zu beurteilen. Aus den vorliegenden ärztlichen Attesten und Stellungnahmen ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine nur bedingte Fahreignung der Kl.
2 Aus den Gründen:
" … II. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung der Bekl. ist zulässig, aber unbegründet. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urt. (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch kommt der Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Jedenfalls hat die Bekl. solche Gründe nicht ausreichend dargelegt, § 124a Abs...