Der Stand der Rechtsprechung des BGH
Nachdem der I. ZS des BGH seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben hat, die für die Erstattungsfähigkeit der Anwaltskosten im Falle der durch Klage- oder Rechtsmittelrücknahme vorzeitigen Beendigung des Mandats allein auf die objektive Lage abgestellt hat, und der III. ZS des BGH sich missverstanden fühlt, ist die Rechtsprechung unter den Zivilsenaten des BGH, die in letzter Zeit mit dieser Problematik befasst waren, wieder einheitlich: Nunmehr ist – wie dies auch viele Jahrzehnte lang von den allermeisten OLG so gehandhabt wurde – auf die Sicht der Partei in der konkreten prozessualen Situation abzustellen. Aus dieser Sicht ist dann zu beurteilen, ob ein objektiver Betrachter aus diesem Blickwinkel die Sachdienlichkeit bejahen würde. Die Notwendigkeit bestimmt sich daher aus der "verobjektivierten" ex ante-Sicht der jeweiligen Prozesspartei und nicht nach einem rein objektiven Maßstab. Hatte die erstattungsberechtigte Partei zum Zeitpunkt der Aufwendung der Anwaltskosten keine Kenntnis davon, dass die Gegenseite ihre Klage oder ihr Rechtsmittel bereits zurückgenommen hat und ist ihr die Unkenntnis auch nicht vorzuwerfen, so sind die Anwaltskosten erstattungsfähig. Zu der Entwicklung der Rechtsprechung des BGH zu dieser Frage und zu den praktischen Auswirkungen verweise ich auf meinen Beitrag auf S. 484 ff.
Anfall und Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr
In einigen Punkten bedarf der Beschluss des V. ZS des BGH einiger Klarstellungen. Der Senat stellt für die Erstattungsfähigkeit der 0,8 Verfahrensgebühr sowohl im Leitsatz als auch teilweise in den Beschlussgründen auf die "Einreichung der Anwaltsbestellung“ ab. Demgegenüber hat der BGH in seinen Beschlussgründen formuliert, den Bekl. könne nicht vorgeworfen werden, dass sie die Rücknahme der Klage im Zeitpunkt der kostenauslösenden Mandatierung ihrer Prozessbevollmächtigten nicht kannten. Dies bedarf einer Klarstellung: Entscheidend für den Anfall und dann auch für die Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr ist nämlich die erste Tätigkeit, die bei der Prozessbevollmächtigten der Bekl. die 0,8 Verfahrensgebühr ausgelöst hat. Dies war nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV RVG das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Wann die Bekl. oder – für sie – der Verwalter der Wohnungseigentumsanlage die Anwältin beauftragt haben/hat und ihr die entsprechenden Informationen mitgeteilt haben/hat, wird in den Beschlussgründen nicht mitgeteilt. Möglicherweise war dies vor Abfassung des die Anwaltsbestellung enthaltenen Schriftsatzes vom 11.7.2016 und sicherlich vor Eingang dieses Schriftsatzes am 13.7.2016."
Folglich kann der für die Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr maßgebliche Zeitpunkt einige Tage früher gelegen haben. Im entschiedenen Fall kam es hierauf nicht an, da die Zustellung des Klagerücknahmeschriftsatzes an den Verwalter erst am 14.7.2016 erfolgt war. Wäre die Klagerücknahme dem Verwalter jedoch bereits am 10.7.2016 zugestellt worden, käme es darauf an, welche Tätigkeiten die Prozessbevollmächtigte auftragsgemäß vor Abfassung des Schriftsatzes vom 11.7.2016 ausgeübt hat. Da sich dies aus den Gerichtsakten nicht ergibt, müsste die erstattungsberechtigte Partei im Kostenfestsetzungsverfahren entsprechend vortragen und die Richtigkeit im Streitfall glaubhaft machen. Hierzu bedarf es einer entsprechenden Dokumentation in den Handakten des Rechtsanwalts, aus der sich der Zeitpunkt der ersten Information und der Auftragserteilung entnehmen lässt.
Gebührenerhöhung
Die Ausführungen des Senats zur Berechnung der Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG sind völlig zutreffend. Berechnet sich die Geschäfts- oder die Verfahrensgebühr nach dem Gegenstandswert, beträgt die Gebührenerhöhung bei 8 oder mehr Auftraggebern höchstens 2,0. Um diesen Satz ist dann die Ausgangsgebühr, welchen Gebührensatz sie auch hat, nach Abs. 3 HS 1 der Anm. zu Nr. 1008 VV RVG zu erhöhen. Die hier angefallene 0,8 Verfahrensgebühr hat sich deshalb um den Satz von 2,0 auf insgesamt 2,8 erhöht. Eine Begrenzung der Erhöhung auf das Doppelte der Ausgangsgebühr – das wäre hier eine Gebührenerhöhung mit einem Satz von 1,6 – sieht das Gesetz in diesen Fällen nicht vor.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens
zfs 9/2019, S. 524 - 526