Nach Auskunft des GDV kommt es jährlich zu 200.000 bis 250.000 Wildunfällen. Nach den Muster-AKB besteht in der Teilkaskoversicherung – in der Vollkaskoversicherung liegt immer ein Unfall und damit ein Versicherungsfall vor – Versicherungsschutz nur für Schäden, die aufgrund eines Zusammenstoßes des in Bewegung befindlichen Fahrzeugs mit Haarwild eintreten (§ 12 Abs. 1 Ziffer I d AKB a.F./A.2.2.4 AKB 2008 n.F.). Welche Tiere unter Haarwild fallen, zählt § 2 Bundesjagdgesetz abschließend auf. Aus der Formulierung in A.2.2.4 AKB 2008 folgt, dass der Schaden aufgrund einer Kollision mit dem Tier eingetreten sein muss. Kommt es nicht zu einer Kollision, liegt grundsätzlich kein versichertes Risiko in der Teilkaskoversicherung vor. Ein Anspruch auf Erstattung des Fahrzeugschadens ist im Falle des Ausweichens und eines hierdurch eingetretenen Sachschadens am Fahrzeug jedoch unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes gemäß §§ 83, 82, 90 VVG möglich. Gemäß § 83 Abs. 1 VVG hat der Versicherer Aufwendungen des VN nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, welche dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt – auch wenn dies nicht gelingt – insoweit zu erstatten, als der VN sie den Umständen nach für geboten halten durfte. § 90 VVG erklärt diese Vorschriften für entsprechend anwendbar auf solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalls gemacht wurden, um diesen abzuwenden oder dessen Auswirkungen zu mindern. Gemäß § 83 VVG i.V.m. § 90 VVG setzt der Ersatzanspruch voraus, dass die Aufwendungen des VN entweder objektiv erforderlich waren oder dass der VN sie den Umständen nach für geboten halten durfte. Ein Irrtum über die Gebotenheit schadet nach herrschender Meinung nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit, wobei die Rettungskosten selbstverständlich nur dann erstattet werden, wenn der Versicherer bei Schadenseintritt noch leistungspflichtig wäre, also für den Fall der Berücksichtigung der Muster-AKB bei einem Unfall mit Haarwild. Im Falle grober Fahrlässigkeit sind auch die Rettungskosten zu quoteln, § 82 Abs. 3 S. 2 VVG.
Wie Rixecker bereits vor der VVG-Reform (zfs 2007, 255 f.) voraussagte, hat sich der Streit um die Größe eines Tieres aus dem Bereich des Alles-Oder-Nichts-Prinzips wegen des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit in jenen der Gebotenheit der Rettungshandlung verschoben. Bei kleineren Tieren stellt sich die Frage, welche Rettungshandlung der VN für geboten halten durfte. Entsprechend der Schwere eines etwaigen Verschuldens ist der Leistungsanspruch zu kürzen. Die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung wird zeigen, in Höhe welchen Prozentanteils eine Kürzung vorzunehmen ist (beispielsweise geht das OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.1.2011 – 5 U 356/10-57, zfs 2011, 331 von einer Kürzung von 50 % aus, wenn wegen eines Tieres von der Größe eines Hasen ausgewichen wird).
Die Frage, ob bei einem Anspruch nach § 90 VVG i.V.m. § 83 VVG das Verkennen der Gebotenheit der Maßnahmen durch den VN zu berücksichtigen ist und inwieweit es dabei auf das Maß des Verschuldens ankommt, ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden. Dies gilt auch für die weitere Frage, ob ein in den Versicherungsbedingungen enthaltener Verzicht auf den Einwand der grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadensfalls auf den Aufwendungsersatzanspruch des § 90 VVG i.V.m. § 83 VVG insoweit anzuwenden ist, als es um die grob fahrlässige Fehleinschätzung der Gebotenheit der Maßnahme geht. Das OLG Koblenz (Urt. v. 14.1.2011 – 10 U 239/10) geht von einer vollen Eintrittspflicht des Versicherers in solchen Fällen aus. Die Regelung in A.2.16.1 AKB 2008 beschränkt sich nicht auf die Herbeiführung des Versicherungsfalls, weil der Wortlaut jeden Schadensfall nennt. Die Revision wurde jedoch zugelassen.
Es bleibt daher abzuwarten, wie die Gerichte künftig quoteln und bei welchem Tier der VN von der Gebotenheit seiner Rettungshandlung ausgehen darf.
Autor: Jens Dötsch
RA Jens Dötsch, FA für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht, Andernach
zfs 10/2013, S. 541