Leitsatz
1. Nach der nahezu einhelligen Rspr. der Oberlandesgerichte kann allein aus einer hohen BAK des Täters zur Tatzeit nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit geschlossen werden.
2. Die tatrichterliche Klärung der Vorsatzfrage bei (absoluter) alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit bedarf auch weiterhin zusätzlicher einzelfallbezogener Indizfeststellungen.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.6.2017 – 1 RVs 18/17
Sachverhalt
Das AG hat den Angekl. wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtgeldstrafe mit Maßregeln nach § 69 StGB verurteilt. Auf die Berufung des Angekl. hat das LG die Tagessatzhöhe reduziert und die Sperrfrist verkürzt. Der nicht vorbestrafte Angekl. befuhr ausweislich der Feststellungen öffentliche Straßen innerorts. Dort kam er in einer Linkskurve von der Fahrbahn ab und kollidierte mit zwei am rechten Fahrbahnrand geparkten Pkw. Anschließend setzte der Angekl. die Fahrt fort und stellte das Fahrzeug anschließend ab. Eine ihm später entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,21 ‰. Aufgrund dieser Feststellungen ist das LG davon ausgegangen, dass der Angekl. hinsichtlich seiner Fahruntüchtigkeit jedenfalls mit Eventualvorsatz gehandelt habe. Die Höhe der Blutalkoholkonzentration sei ein gewichtiges Beweisanzeichen für vorsätzliches Handeln. Anhaltspunkte, die dagegen sprächen, dass der Angekl. seine Fahruntüchtigkeit trotz des hohen Maßes seiner Alkoholisierung erkannt habe, seien nicht zu erkennen. Vielmehr erweise sich das nach der Kollision an den Tag gelegte Verhalten des Angekl. (Flucht vom Unfallort) vor dem Hintergrund seiner Interessenlage als situationsadäquat. Dem entnehme die Kammer, dass der Angekl. von Anfang an fähig gewesen sei, das Maß seiner Alkoholisierung und deren Bedeutung für die Fahrtüchtigkeit zutreffend einzuschätzen.
Das OLG Düsseldorf hat die Revision des Angekl. mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angekl. der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr schuldig ist.
2 Aus den Gründen:
"II. Die tatrichterliche Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung bei der Trunkenheitsfahrt nach dem – durch gravierendes und typischerweise alkoholbedingtes Fahrversagen verursachten – Unfall begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Soweit die Kammer allerdings davon ausgeht, dass der Angekl. seine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit bereits bei der Unfallverursachung billigend in Kauf genommen und daher auch den Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) vorsätzlich verwirklicht habe, weist die Beweiswürdigung Lücken auf."
Nach der nahezu einhelligen Rspr. der Oberlandesgerichte kann allein aus einer hohen BAK des Täters zur Tatzeit nicht auf einen Vorsatz hinsichtlich der Fahruntüchtigkeit geschlossen werden (OLG Düsseldorf, BA 47 [2010], 428; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2016 – 1 RVs 93/16; OLG Hamm VRS 107 [2004], 433; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2011, 187; OLG Köln, DAR 1999, 88; OLG Naumburg, DAR 1999, 420; KG, VRS 126 [2014], 95; OLG Brandenburg, BA 50 [2013], 138; OLG Karlsruhe, NZV 1999, 301; a.A. wohl OLG Koblenz, NZV 2008, 304; OLG Celle, NZV 2014, 283; AG Rheine, NJW 1995, 894). Denn einen naturwissenschaftlich oder medizinisch gesicherten Erfahrungssatz, dass derjenige, der eine Alkoholmenge trinkt, die zu einer die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit übersteigenden BAK führt, seine Fahruntüchtigkeit auch erkennt, gibt es nicht (BGHSt 60, 227).
Die Erwägungen des BGH in seinem Urt. v. 9.4.2015 (BGHSt 60, 227) geben dem Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung. Diese Entscheidung, die in Kenntnis der st. Rspr. zahlreicher Oberlandesgerichte und der im Schrifttum seit langem geführten Diskussion (Nehm, FS Salger 1995, S. 115 ff.; SSW-StGB/Ernemann, 3. Aufl. 2016, § 316 Rn 33 f.) ergangen ist, wird ganz überwiegend nicht im Sinne einer grundsätzlichen Abkehr von der bislang herrschenden Entscheidungspraxis verstanden (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 316 StGB Rn 29 f.; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 316 StGB Rn 76; ders., DAR 2015, 737, 740; Sandherr, NZV 2015, 400, 402; MüKo-StVR/Hagemeier, 1. Aufl. 2016, § 316 Rn 20 ff.; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 316 Rn 45 f.; Freymann/Wellner/Görlinger, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 316 StGB Rn 49). Dem tritt der Senat bei.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hat der BGH die tatrichterliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt trotz objektiver Überschreitung der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit aufgehoben und im tragenden Teil der Urteilsgründe sowohl die Erforderlichkeit ergänzender Feststellungen zum Trinkverlauf und zum Trinkende hervorgehoben als auch aus deren Fehlen einen Rechtsfehler der tatrichterlichen Beweiswürdigung hergeleitet. Nach der A...