A. Vorbemerkung
Kein Ereignis hat die Bundesrepublik Deutschland seit ihrem Entstehen so tiefgreifend und langanhaltend erschüttert wie die seit Anfang 2020 grassierende SARS-CoV-2-Pandemie und die durch das Virus ausgelöste Krankheit COVID-19. In deren Folge mussten sich nahezu sämtliche Gerichtsbarkeiten mit Fragen befassen, die aus der "Corona-Pandemie" resultieren. In erster Linie betrifft das angesichts der Grundrechtseinschränkungen die Verfassungs- und Verwaltungsgerichte. Aber auch die ordentliche Gerichtsbarkeit musste sich mit Fällen aus dem Zivil-, Straf- und Bußgeldrecht befassen, die sich unmittelbar aus infektionsrechtlichen Normen oder mittelbar im Bereich der allgemeinen Gesetze ergeben.
Dabei ist es auch zu abstrus anmutenden Entscheidungen gekommen, wie etwa die Anweisung des AG Weimar in einem familienrechtlichen Verfahren an eine Schule, das Maskentragen, die Einhaltung von Mindestabständen und die Teilnahme an Schnelltests zur Feststellung des Virus SARS-CoV-2 nicht anzuordnen oder vorzuschreiben. Das ist offensichtlich eine Frage des Verwaltungsrechts. Auch wenn die Pandemie trotz der aktuell vierten Welle angesichts der steigenden Impfquote, wenn nicht eingedämmt, so doch zumindest beherrschbarer geworden ist, werden rechtliche Fragen rund um Corona die Praxis weiterhin auf einige Zeit beschäftigen. Hier wird die für die genannten Bereiche maßgebliche Rechtsprechung dargestellt.
B. Das Zivilrecht
Der Gesetzgeber hat auf die Pandemie unverzüglich reagiert und befristete teils bereits ausgelaufene Möglichkeiten geschaffen, um die Folgen der Pandemie abzumildern, wie etwa die vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (§ 1 CovInsAG) oder der Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen wegen Nichtzahlung der Miete, wenn dies auf den Auswirkungen der Pandemie beruht (Art 240 § 2 EGBGB). Die Gerichte mussten darüber hinaus etwa in den Bereichen des Arbeits-, Familien- und Reiserechts Streitfälle auf dem Hintergrund der Pandemie entscheiden. Hier von Belang sind Fragen des Verkehrszivilrechts und des Versicherungsrechts.
I. Ersatz von Desinfektionskosten
Nach § 249 BGB hat der Schädiger den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (Abs. 1). Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (Abs. 2 Satz 1). Bei der Verpflichtung zum Schadensersatz nach Verkehrsunfällen bedeutet das, dass im Rahmen der Haftung die Kosten am Fahrzeug (fiktiv oder konkret), Kosten für ein erforderliches Sachverständigengutachten, Nutzungsausfall u.a. vom Schuldner zu tragen sind. Als Folge der Pandemie ist die Frage virulent geworden, ob wegen der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs die Kosten für eine Fahrzeugdesinfektion zu erstatten sind. Zunächst haben einige Gerichte einen solchen Anspruch bejaht. Dies sei in Zeiten der Corona-Pandemie erforderlich, da die Reparatur ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert. Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehörten auch Kosten für ggf. unnötige Zusatzarbeiten. Als abrechnungsfähige Beträge wurden 24 EUR und 60,87 EUR anerkannt. Zunehmend wird ein solcher Ersatzanspruch hingegen abgelehnt. Desinfektionskosten wegen "Corona" stellten evident keinen unfallkausalen Schaden dar und seien daher auch unter Berücksichtigung des sog. "Werkstattrisikos" nicht vom Schädiger zu tragen. In erster Linie handele es sich um Maßnahmen des Arbeitsschutzes, die den Allgemeinkosten zuzurechnen seien. Sie seien in die übrigen Kostenpositionen eingepreist. Die mit der Corona-Pandemie verbundenen Folgen seien dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen und damit nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen. Da höchst- oder obergerichtliche Entscheidungen – wohl auch mit Blick auf den Streitwert – noch nicht vorliegen, bleibt insoweit die weitere Entwicklung abzuwarten.