VVG § 1 § 82; Auslandsreise-Assistanceleistungsversicherung Teil 1 Ziff. 4.2, Teil 2 Ziffer 2.1.2.1.3, Ziffer 1.1.2.1.8
Leitsatz
1. Ein VR einer Personenassistanceversicherung, die u.a. Versicherungsschutz für die Organisation eines medizinisch sinnvollen Krankentransports im Ausland beinhaltet, schuldet die Vornahme dieser Versicherungsleistungen erst dann, wenn die versicherte Person bei objektiver Betrachtung transportfähig ist.
2. Liegt die Transportfähigkeit der versicherten Person nicht vor, ist die Versicherungsleistung betreffend die Organisation eines Krankentransports noch nicht fällig.
3. Ein durchschnittlicher VN kann nicht davon ausgehen, dass mit Abschluss eines Assistanceversicherungsvertrages zugleich die Entscheidungsverantwortung für den medizinisch gebotenen Behandlungsweg auf die Versicherung übertragen wird. Im Rahmen der Assistanceleistungen hat der VN lediglich Anspruch auf die pflichtgemäße Erbringung besonderer – durch die Erkrankung im Ausland bzw. auf der Reise verursachter – Unterstützungs- und Beratungsleistungen, also etwa Übersetzungshilfen, Vermittlung zu bzw. zwischen den Ärzten vor Ort.
OLG Bremen, Beschl. v. 13.5.2022 – 3 U 16/21
Sachverhalt
Die Kl. begehrt von der Bekl. Schadensersatz und Schmerzensgeld für gesundheitliche Beeinträchtigungen und Folgekosten nach einem in Ä. im Juli 2014 erlittenen Blinddarmdurchbruch. Die Kl. war im Jahr 2014 bei der Bekl. versichert. Zu den Leistungspflichten der Bekl. im Versicherungsfall gehörten danach u.a. ein "weltweit professionelles Notfallmanagement". Umfasst war eine Auslandskrankenversicherung, wobei die Leistungen der Bekl. insoweit auf "Assistance-Leistung" (Teil 1 Ziffer 4.2 der Versicherungsbedingungen) beschränkt waren. Ausweislich Teil 2 Ziffer 2.1.2.1.8 der Versicherungsbedingungen unterfiel der Transport zum für die Behandlung geeigneten nächst erreichbaren Krankenhaus den versicherten Leistungen, gemäß Teil 2 Ziff. 2.1.2.3 war auch die Organisation von Krankentransporten geschuldet.
Am 1.7.2014 traten bei der Kl., die sich zu diesem Zeitpunkt in Ä. befand, massive Oberbauchbeschwerden, Krämpfe, anhaltende Übelkeit und Erbrechen auf. Sie wurde ohne vorherige Beteiligung der Bekl. in das nächstgelegene Krankenhaus in R. eingeliefert, wo zwar verschiedene Untersuchungen durchgeführt wurden, eine klare Diagnose jedoch nicht erfolgte. Am 3.7.2014 wurde die Kl. in das S.-Hospital in H. verlegt, wo ein Blinddarmdurchbruch der Kl. festgestellt und operativ behandelt wurde.
Die Kl. hat behauptet, die Bekl. habe ihre Verlegung in das Krankenhaus nach H. zu spät veranlasst und habe hierdurch ihre Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt.
2 Aus den Gründen:
Das LG hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Das Berufungsvorbringen der Kl. rechtfertigt keine andere Beurteilung.
So folgt der Senat der Einschätzung des LG, wonach eine schuldhafte vertragliche Pflichtverletzung der Bekl. nicht vorliegt. Daher hat die Kl. keinen Anspruch gegen die Bekl. auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer behaupteten verzögerten Durchführung eines Krankentransports gem. §§ 280, 286 BGB (1.). Auch hat die Kl. gegen die Bekl. keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 280 BGB i.V.m. dem Versicherungsvertrag (2.).
1. Die Voraussetzungen für einen Anspruch der Kl. gegen die Beklagte auf Schadensersatz gemäß § 280 i.V.m. § 286 BGB wegen einer Verzögerung des Krankenrücktransportes von R. nach H. sind nicht gegeben. Insbesondere befand sich die Bekl. mit der Erbringung der Versicherungsleistungen nicht in Verzug.
Ein Schuldnerverzug kann nicht vor Fälligkeit der versprochenen Leistung eintreten (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wann Fälligkeit eintritt, hängt vom Inhalt der geschuldeten Leistung ab. Hat der VR keine Geldzahlung zu erbringen, so bestimmt sich die Fälligkeit der Versicherungsleistung nicht nach § 14 VVG, sondern – sofern keine vorrangige Regelung existiert – nach § 271 BGB (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VVG § 14 Rn 1 …), d.h. die Versicherung hat die geschuldeten Leistungen sofort bei Eintritt des Versicherungsfalls zu bewirken. Wann wiederum der Versicherungsfall eintritt und welche Versicherungsleistungen dann konkret geschuldet sind, ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag, in der Regel – wie auch hier – aus den allgemeinen Versicherungsbedingungen.
Nach st. Rspr. des BGH sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss …
Der Versicherungsfall ist nach Ziffer 4.1 der Versicherungsbedingungen das Ereignis, das einen unter die Versicherung fallenden Schaden verursacht. Aus den ausdrücklich vorrangigen speziellen Versicherungsbedingungen, hier Teil 2, Ziffer 2.1.1.1 der Versicherungsbedingungen ergibt sich, dass Versicherungsleistungen zu erbringen sind bei Eintritt eines medizinischen Notfalls, d.h. einer erlittenen körperlichen...