I. Einleitung
In der Praxis wird das Thema merkantiler Minderwert weitgehend den mit der Ermittlung oder Überprüfung der Fahrzeugschäden beauftragten Sachverständigen überlassen. In Gutachten oder Stellungnahmen findet sich dann zumeist nur die Feststellung die Wertminderung sei "angemessen" bzw. "zu hoch", ohne nachvollziehbare Erläuterung zur Ermittlungsmethode oder Abzügen. Dabei lohnt sich zumindest eine kritische Überprüfung, weil die Wertminderung nicht reine Tatsachverstellung, sondern nach geltendem Recht zu ermitteln und deshalb nicht jeder Abzug gerechtfertigt ist. Für die Regulierung des Fahrzeugschadens kann die Höhe der Wertminderung zudem eine erhebliche Bedeutung haben. Es wird häufig übersehen, dass die Wertminderung auch die Abrechnung des Fahrzeugschadens (Reparatur- oder Totalschaden) selbst beeinflussen kann. Der Geschädigte muss bei der Frage, ob er sein beschädigtes Kraftfahrzeug reparieren lassen oder sich ein Ersatzfahrzeug anschaffen soll, einen Vergleich der Reparaturkosten einschließlich einer etwaigen Wertminderung (Reparaturaufwand) mit dem Wiederbeschaffungsaufwand anstellen. Der Anwalt des Geschädigten muss deshalb frühzeitig die Höhe des Minderwerts berücksichtigen, um über die Abrechnungsmöglichkeiten richtig zu beraten. Daneben beeinflusst die Höhe der Wertminderung auch die Höhe der Sachverständigenkosten, sofern sich diese an der Höhe des Fahrzeugschadens orientieren, und die nach dem Gegenstandswert bemessene Rechtsanwaltsvergütung. Auf der anderen Seite sind die Versuche von Versicherern und ihnen nahe stehenden Sachverständigen zahlreich den merkantilen Minderwert als bloßes Affektionsinteresse (Liebhaberwert) zu charakterisieren, den Anspruch zu mystifizieren oder als irreal abzutun, um die Erstattung (willkürlich) zu kürzen oder ganz zu verweigern. Für den mit der Durchsetzung oder der Abwehr von Wertminderungsansprüchen beauftragten Anwalt, ist deshalb die genaue Kenntnis des Inhalts und der Grenzen des Anspruchs erforderlich.
II. Rechtsgrundlagen
Der Anspruch auf Erstattung der Wertminderung ergibt sich aus den allgemeinen zum Schadensersatz verpflichtenden materiellen Anspruchsgrundlagen (z.B. §§ 823 BGB ff., 7, 18 StVG) und nicht unmittelbar aus den §§ 249 ff. BGB, die nur Art und Umfang der Entschädigung bestimmen. Nach dem Grundsatz der Naturalrestitution hat der gem. § 249 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz Verpflichtete, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatze verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Soweit die Herstellung "nicht möglich oder zur Entschädigung nicht genügend ist", ist nach § 251 Abs. 1 BGB "in Geld" zu entschädigen. Der Wertminderungsanspruch beruht insoweit auf der teilweisen Unmöglichkeit bzw. Ungenügendheit der Naturalrestitution. Der merkantile Minderwert ist nach der gesetzlichen Systematik von der eigentlichen Naturalrestitution zu unterscheiden, weil er über diese hinausgeht, und stellt keinen Gewinnersatz (§ 252 BGB) oder immaterielle Entschädigung (§ 253 Abs. 1 BGB) dar.
1. Römisches Recht, Europa und Amerika
Das dem Bürgerlichen Gesetzbuch zugrunde liegende System des Schadensersatzes in den §§ 249 ff. BGB geht auf römisches Recht zurück. Das klassische römische Recht unterschied zwischen dem damnum emergens (= positiver Schaden) und dem lucrum cessans (= entgangener Gewinn), wobei noch zwischen dem regelmäßig zu ersetzenden innerhalb und dem nicht zu ersetzenden Interesse außerhalb des Objekts (circa rem oder extra rem) unterschieden wurde. Bereits im römischen Recht war eine Erstattung des Minderwerts aus Verletzung einer Nebenpflicht bekannt. Der gekaufte Wein wird während des Transports so durchgeschüttelt, dass er Qualitätseinbußen erleidet. Der Käufer konnte den Verkäufer mit der actio empti auf Ersatz des Minderwerts des Weins verklagen. Der Minderwert einer Sache ist danach kein reiner positiver Schaden, aber auch kein außerhalb des Objekts liegender (entgangener) Gewinn. Im römischen Recht war aber anerkannt, dass auch ein zukünftiger innerhalb der Sache liegender Gewinn (lucrum cessans circa rem), ersetzt werden muss. In den auf das römische Recht zurückgehenden Europäischen Rechtsordnungen ist der Anspruch auf Wertminderung mehrheitlich bekannt. Beim Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt sich, dass der Ersatz des Minderwerts bei beschädigten Fahrzeugen – jeweils unter bestimmten Voraussetzungen und manchmal nur in Ausnahmefällen – etwa in Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Luxemburg, Mazedonien, ...