StVG § 317; StVO § 9 Abs. 5

Leitsatz

1. Fährt ein nachfolgendes Fahrzeug auf ein Fahrzeug auf, das im Begriff ist, nach links in ein Grundstück abzubiegen, rechtfertigt die Lebenserfahrung nicht die Annahme, dass ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Abbiegenden besteht (gegen LG Saarbrücken, Urt. v. 24.1.2014 – 13 S 168/13).

2. Ebenso wenig lässt sich aus den hohen Anforderungen, die § 9 Abs. 5 StVO an den Abbiegenden stellt, ableiten, dass in diesen Fällen jedenfalls der für ein Verschulden des Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis erschüttert sei (gegen OLG Dresden, Urt. v. 24.4.2002 – 11 U 2948/01).

OLG Düsseldorf, Urt. v. 26.6.2015 – I-1 U 107/14

Sachverhalt

Der Kl. beabsichtigte, mit seinem Fahrzeug von der von ihm befahrenen Linksabbiegerspur nach links in eine Zufahrt einige Meter vor einer Straßenkreuzung abzubiegen. Aus zwischen den Parteien streitigen Gründen fuhr der Bekl. mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug des Kl. auf.

Der Kl. hat behauptet, unter rechtzeitigem Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers sich mit seinem Fahrzeug auf dem Linksabbiegerstreifen eingeordnet zu haben und wegen vorfahrtsberechtigten Gegenverkehrs sein Fahrzeug zunächst bis zum Stillstand abgebremst zu haben. Der Bekl. hat abweichend hiervon behauptet, der Kl. habe den Fahrtrichtungsanzeiger nicht betätigt und das von ihm geführte Fahrzeug unerwartet stark abgebremst. Das LG hat die Klage auf Ersatz des materiellen Schadens und des Schmerzensgeldes durch Grundurteil unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Kl. i.H.v. 60 % für begründet erklärt. Gegen beide Parteien spreche ein Anscheinsbeweis. Gegen den Kl., da er in ein Grundstück abbiegen wollte und deshalb gehalten gewesen sei, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen (§ 9 Abs. 6 StVO), gegen den Bekl., weil er auf das Fahrzeug des Kl. aufgefahren sei. Die daraus folgenden Vermutungen für Verursachung und Verschulden der Parteien würden sich gegenseitig aufheben und zu einer hälftigen Haftungsverteilung führen. Die Berufung des Kl. führte zu einer Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung und zur Verurteilung des Bekl. dem Grunde nach auf Ersatz des dem Kl. bei dem Unfall entstandenen Schadens.

2 Aus den Gründen:

" … Dem Kl. steht gegen die Bekl. als Gesamtschuldner nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz seines bei dem streitgegenständlichen Unfall erlittenen Schadens zu."

Grds. haben die Bekl. nach den genannten Vorschriften für die Schäden einzustehen, die bei dem Betrieb des von ihnen geführten, gehaltenen und versicherten Pkw entstanden sind. Da auch der Kl. an dem Unfall mit seinem Kfz beteiligt und der Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis war, sind die jeweiligen Verursachungsbeiträge gem. §§ 17, 18 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung kommt es insb. darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen nur unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506; Senat, Urt. v. 16.4.2013 – I-1 U 163/12). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, 231).

1. Ein Verschulden des Kl. ist nicht feststellbar.

a) Der Kl. durfte an der Unfallstelle nach links abbiegen. Denn, wie auf den Lichtbildern in der Ermittlungsakte zu erkennen ist, ist die linke durchgezogene Linie des Linksabbiegerstreifens auf der Höhe der Grundstückseinfahrt unterbrochen.

b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann auch nicht festgestellt werden, dass dem Kl. vor dem Abbiegen ein Fahrfehler unterlaufen wäre. Insbesondere hat sich die Behauptung der Bekl., der Kl. habe seine Abbiegeabsicht entgegen den Geboten des § 9 Abs. 1 S. 1 StVO nicht rechtzeitig und deutlich angekündigt, sondern plötzlich eine Vollbremsung vollführt, im Rahmen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht bestätigt. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an dieser Feststellung des LG begründen könnten, liegen nicht vor.

2. Für ein Verschulden des Kl. streitet auch kein Anscheinsbeweis.

a) Das LG Saarbrücken hat allerdings in einer vergleichbaren Konstellation angenommen, dass gegen den in eine Grundstückseinfahrt Abbiegenden aufgrund der gesteigerten Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO ein Anscheinsbeweis spreche. Komme es bei dem Abbiegen in ein Grundstück zu einer Kollision mit dem nachfolgenden Verkehr, habe der Abbiegende typischerweise gegen die ihm obliegende Pflicht, die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, verstoßen (LG Saarbrücken, Urt. v. 24.1.2014 – 13 S 168/13).

b) Dem folgt der Senat nicht. Zwar wollte hier der Kl. unstreitig in eine Grundstückseinfahrt einbiegen, so dass ihn die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 5 StVO traf, wonach eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sein muss. Auch ist es richtig, dass ein gegen den A...

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