VVG § 81 § 28; AKB A 2.9.1 D 1.2
Leitsatz
1. Allein die Feststellung von Psychopharmakaspuren in einer einem Versicherungsnehmer nach einem Unfall entnommenen Blutprobe genügt für die Annahme vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls nicht.
2. Die Erben eines Versicherungsnehmers trifft grundsätzlich keine sekundäre Darlegungslast zu Zeitpunkt und Maß des Konsums von Rauschmitteln durch den Versicherungsnehmer, soweit nicht festzustellen ist, dass sie über tatsächliche Kenntnisse dazu verfügen.
(Leitsätze der Schriftleitung)
KG, Urt. v. 12.5.2020 – 6 U 120/19
1 Aus den Gründen:
"… Der Kl. steht der geltend gemachte Regressanspruch hinsichtlich der erbrachten Kasko- und Haftpflichtleistungen nicht zu, weil anhand ihres Klagevortrages (…) nicht festgestellt werden kann, dass der vormalige Bekl. vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig i.S.d. § 81 VVG/§ 28 Abs. 2 VVG gehandelt hat."
Auf der Grundlage der polizeilich angeordneten Blutuntersuchung steht fest, dass sich im Blut des vormaligen Bekl. am Unfalltag um 18:40 Uhr der Wirkstoff Nordazepam, ein Metabolit von Diazepam, und der Wirkstoffs Toxepin (eine Spur) und dessen Metabolit N-Desmethyldoxepin nachweisen ließen und sich im Rahmen der Untersuchung darüber hinaus Hinweise auf das Vorliegen von Diazepam und Oxazepam in der Plasmaprobe ergaben.
Ob und wann der vormalige Bekl. zuletzt vor den Unfallereignissen welche Medikamente eingenommen hatte, ist jedoch nicht bekannt. Dies lässt sich auch nicht mehr aufklären, weil der vormalige Bekl., dem insoweit eine sekundäre Darlegungslast oblag, die Auflage des LG (…) aufgrund seines Ablebens am 23.5.2017 nicht mehr erfüllen konnte.
Soweit das LG in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass die jetzigen Bekl. die Auflage nicht erfüllt haben, hat es unterstellt, dass die sekundäre Darlegungslast nach dem Ableben des vormaligen Bekl. nunmehr die jetzigen Bekl. als seine Rechtsnachfolger trifft. Dem kann jedoch in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Denn eine sekundäre Darlegungslast gründet sich regelmäßig auf eine besondere Kenntnis von den maßgeblichen darzulegenden Umständen. Dass aber die jetzigen Bekl. tatsächlich Kenntnis davon hatten, welche Medikamente der vormalige Bekl. seit welchem Zeitpunkt in welcher Dosierung im Allgemeinen und speziell am Unfalltag eingenommen hatte, ist vom LG nicht aufgeklärt worden. Mit ihrer Berufungsbegründung haben die Bekl. nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass sie keine Kenntnis vom Medikamentenkonsum und einem eventuellen Medikamentenmissbrauch des vormaligen Bekl. gehabt haben, so dass der Feststellung, die Bekl. seien einer ihnen obliegenden Darlegungslast nicht in hinreichendem Maße nachgekommen, der Boden entzogen ist.
Dies zugrunde gelegt fehlt es bereits an ausreichend feststehenden objektiven Umständen, die in ihrer Würdigung die Feststellung tragen könnten, dass der vormalige Bekl. im Sinne eines grob fahrlässigen Verhaltens diejenigen Sorgfaltsanforderungen, die nach der Verkehrsauffassung zur Vermeidung eines Versicherungsfalls zu beachten sind, in einem ungewöhnlich großen Maße verletzt und dabei nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Die Behauptung der Kl., wonach er bereits bei Fahrtantritt in Fr. ca. 45 Minuten vor den Unfallereignissen Ausfallerscheinungen gehabt habe, die ihm gezeigt hätten, dass er nicht fahrtüchtig sei, hatte der vormalige Bekl. im Rahmen der Klageerwiderung ausdrücklich bestritten; einen Beweis für ihre Behauptung hat die Kl. daraufhin nicht angetreten. Das Ergebnis der erst gut zwei Stunden später durchgeführten Blutuntersuchung lässt einen Rückschluss auf konkrete Ausfallerscheinungen im Zeitpunkt des Fahrtantritts nicht zu, weil es weder die Konzentrationen der festgestellten Wirkstoffe wiedergibt, noch Aussagen zum Abbauprozess und zu danach ggf. naheliegenden kognitiven Einschränkungen macht. Mittels Zeugenangaben sind konkrete Ausfallerscheinungen – wie das Fahren von Schlangenlinien – erst für die unmittelbare Nähe der Unfallorte in B. zu belegen. Insofern muss für die Entscheidung zugrunde gelegt werden, dass der vormalige Bekl. die Fahrtstrecke von seinem Wohnort bis zum ersten Unfallort tatsächlich ohne Ausfallerscheinungen zurückgelegt hatte.
Soweit das LG einen unentschuldbaren subjektiven Sorgfaltspflichtenverstoß darin sehen will, dass der vormalige Bekl. den Beipackzettel für das Medikament, das er eingenommen hatte, entweder nicht gelesen oder aber die darin festgehaltenen Hinweise nicht beachtet habe, folgt der Senat ihm nicht. Denn solange nicht feststeht, welches Medikament der vormalige Bekl. tatsächlich eingenommen hatte und deshalb über den möglichen Inhalt des Beipackzettels nur Spekulationen möglich sind, kann darauf die Feststellung eines besonders gravierenden Sorgfaltspflichtenverstoßes nicht gestützt werden.
Zudem fehlt es aber auch in subjektiver Hinsicht an Anhaltspunkten dafür, dass dem vormaligen Bekl. ein unentschuldbarer Sorgfaltsverstoß vorzuwerfen is...