BGB § 823 Abs. 1; StVO § 17 Abs. 3 S. 1 § 11 Abs. 3 § 25 Abs. 3
Leitsatz
1. Ein Fußgänger darf die Fahrbahn an dafür nicht besonders vorgesehenen Stellen nur mit erhöhter Vorsicht überqueren, wenn er mit Sicherheit annehmen kann, er werde die andere Straßenseite vor Eintreffen der Fahrzeuge erreichen.
2. Ein sich im fließenden Verkehr bewegender Kfz-Führer braucht ohne hinreichende Anhaltspunkte nicht damit zu rechnen, dass ein Fußgänger trotz herannahender Fahrzeuge plötzlich auf die Fahrbahn tritt.
3. War der Unfall des Kfz-Führers mit dem Fußgänger räumlich nicht vermeidbar, weil er mit seinem Fahrzeug so schnell am Unfallort eintraf, dass er den Unfall nicht mehr vermeiden konnte, bleibt bei einem unfallursächlich grob fahrlässigen Verhalten des Fußgängers die vom Fahrzeug des unfallbeteiligten Kfz ausgehende Betriebsgefahr unberücksichtigt.
(Leitsätze der Schriftleitung)
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 6.9.2012 – I-1 W 31/12
Sachverhalt
Beim Versuch der Überquerung einer mehrspurigen Straße lief die Bekl. in einer diagonalen Bewegungsrichtung über die beiden Fahrbahnen der Straße, obwohl der bevorrechtigte fließende Verkehr bereits dicht aufgerückt war. Sie hatte die rechte Spur der Straße vollständig überquert, ehe sie am rechten Rand der linken Geradeausspur von dem Fahrzeug der Kl. erfasst wurde. Der Antrag der Bekl., ihr Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Klageforderung wegen Beschädigung des Pkw zu gewähren, wurde vom LG zurückgewiesen. Die Beschwerde der Bekl. hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen:
"Im Hinblick auf den Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte spricht alles für die Annahme, dass die Bekl. aufgrund eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens als Fußgängerin bei dem Versuch der Straßenüberquerung das alleinige Verschulden an der Entstehung des Schadensereignisses trifft. Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Kl. anspruchsmindernd ein Annäherungsverschulden des Fahrers ihres Pkw, des Zeugen, entgegen halten lassen muss. Im Ergebnis wird die Entscheidung der Tatsachenfrage offen bleiben können, ob sich die Kollision mit der Bekl. für den Zeugen als ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG darstellte. Denn angesichts des grob fahrlässigen Überquerungsverschuldens der Bekl. fällt die von dem klägerischen Pkw ausgegangene einfache Betriebsgefahr nicht mehr in einer eine anteilige Mithaftung der Kl. begründenden Weise ins Gewicht."
I. 1) Die entscheidende Ausgangsursache für die Entstehung des Kollisionsereignisses liegt nach dem bisherigen Erkenntnisstand in einer leichtfertigen Missachtung der Sorgfaltspflichten, welche die Bekl. als Fußgängerin bei dem Versuch der Überquerung der mehrspurigen N-Straße in D zu beachten hatte. Ein Fußgänger darf die Fahrbahn an dafür nicht besonders vorgesehenen Stellen nur mit erhöhter Vorsicht überqueren. Er hat auf den Verkehr Rücksicht zu nehmen und diesem im Allgemeinen den Vorrang einzuräumen. Er darf eine Fahrbahn nur überqueren, wenn er mit Sicherheit annehmen kann, er werde die andere Straßenseite vor Eintreffen des Fahrzeugs erreichen. Er hat folglich darauf zu achten, dass er nicht in die Fahrbahn eines anderen Fahrzeugs gerät und dieses behindert (Senat, Urt. v. 6.9.2011 – 1-1 U 196/10 mit Hinweis auf BGH NJW 1984, 50; sowie BGH NJW 2000, 3069 und weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Der Fußgänger hat sowohl beim Betreten als auch beim Überschreiten der Fahrbahn auf sich nähernde Fahrzeuge zu achten, um den fließenden Verkehr nicht zu behindern. Verletzt er diese Sorgfaltspflichten, handelt er regelmäßig grob fahrlässig (KG MDR 2010, 1049).
2) Im Ergebnis kann dahin stehen, ob entsprechend der Begründung der angefochtenen Entscheidung das Alleinverschulden der Bekl. an der Entstehung des Schadensereignisses schon nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises anzunehmen ist. Nach der Rspr. des Senats ist ein solcher Beweis zu Lasten eines Fußgängers einschlägig, wenn ein Kfz auf der rechten Fahrbahnseite mit einem von rechts kommenden Fußgänger zusammenstößt (DAR 1977, 268). Ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallskizze hatte die Bekl. jedoch bereits die rechte Spur der N-Straße vollständig überquert, ehe sie am rechten Rand der durch den Zeugen befahrenen linken Geradeausspur gegen die vordere rechte Ecke des klägerischen Pkw geriet.
3) Allerdings bedarf es für die Feststellung eines grob fahrlässigen Überquerungsverschuldens der Bekl. keines Rückgriffs auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Bereits eine einfache Weg-Zeit-Analyse bestätigt die Richtigkeit des Klagevorbringens, dass die Bekl. so unvermittelt auf die Fahrbahn lief, dass der Zeuge trotz einer sofort eingeleiteten Gefahrenbremsung keine Möglichkeit zur Abwendung des Zusammenstoßes mehr hatte.
a) Nach den schriftlichen Angaben des Zeugen sowie der unbeteiligten Zeugin drang die Bekl. in einer Laufbewegung auf der Straße vor. Ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallskizze hatte die Bekl. in ihrer diagonalen Fortbewegung nach dem Verlassen des rechtsseitigen Gehweges bis zum Erreichen der Unfallstelle ...