Der Anscheinsbeweis spielt auch bei der Abwägung eine entscheidende Rolle.
Wenn der Anscheinsbeweis greift, steht fest, dass dem jeweiligen Fahrzeugführer eine zumindest fahrlässige begangene Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Dies ist nunmehr noch in das Abwägungsystem von § 17 StVG, § 254 BGB, welches von Nugel zutreffend als Waagemodell bezeichnet wird, einzubinden.
Danach hängt die Haftung von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung.
Es wirkt sich bespielsweise nicht der Umstand aus, dass der im fließenden Verkehr fahrende Pkw rückwärts mit dem vorwärts aus einer Grundstücksausfahrt fahrenden Pkw kollidiert. Dies kann nicht zu Lasten des rückwärtsfahrenden Pkw über § 9 Abs. 5 StVO berücksichtigt werden, da dieser nur den fließenden aber nicht den ruhenden Verkehr schützt. Dasselbe gilt für den Überholenden, der mit einem im Gegenverkehr fahrenden Pkw kollidiert, der soeben aus der Parklücke angefahren oder aus einem Grundstück ausgefahren ist.
Auch der an einem stehenden Fahrzeug Vorbeifahrende haftet gem. § 6 StVO nicht für Fehler des Ausparkenden, da der Schutzzweck des § 6 StVO der Gegenverkehr und der nachfolgende Verkehr ist.
Ebenfalls hat sich die Tatsache, dass der Fahrzeugführer über 1,1 Promille alkoholisiert ist, nicht auf den Unfall ausgewirkt, wenn dieser in seinem Fahrzeug an der roten Ampel stand, als der Unfallgegner in das Heck des Fahrzeugs gefahren ist.
Wenn also nach der Beweisaufnahme ein typischer Sachverhalt feststeht, wonach der Anscheinsbeweis zu Lasten des Prozessgegners streitet, trägt dieser in der Regel immer die volle Haftung. Dies ist insbesondere immer dann angebracht, wenn die größtmöglichste Sorgfalt die das Gesetz kennt, missachtet wurde: "Ausschluss der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer." Dennoch kann man sich im Einzelfall nicht immer hierauf mit Erfolg stützen. Zwar hat der BGH festgehalten, dass die Auffassung, wenn der Anscheinsbeweis nicht entkräftet ist, die gesamte Haftung bei diesem verbleibt, rechtlich nicht zu beanstanden ist. Dennoch urteilt der BGH, dass die Abwägung grundsätzlich Tatfrage ist und daher durch den BGH nur überprüfbar ist, ob der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde liegen und ob der Tatrichter dabei alle Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und nicht gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat.
So haben andere Gerichte auch immer wieder betont, dass alleine die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers rechtfertigt.
Soweit also auf der eigenen Seite kein Verursachungsbeitrag außer der Teilnahme am Straßenverkehr und dem Betrieb des Fahrzeuges gegeben ist, ist immer von einer 100 % Haftung des Unfallgegners auszugehen.