RVG § 15 Abs. 3 und 4; VV RVG Nr. 3200 3201; ZPO § 91 Abs. 1 § 567 Abs. 2; RPflG § 11 Abs. 2
Leitsatz
1. Entstehen und Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren des Berufungsbeklagten sind voneinander zu trennen. Dass die 1,6-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV RVG aus dem vollen Wert der erstinstanzlichen Beschwer bereits dadurch entsteht, dass der Berufungsbeklagte einen Zurückweisungsantrag formuliert, obwohl die Rechtsmittelbegründung noch aussteht, führt bei einer eingeschränkten Berufungsbegründung dazu, dass nur insoweit eine Erstattungsfähigkeit der 1,6-fachen Gebühr stattfindet, während sie im Übrigen auf die 1,1-fache Gebühr (Nr. 3201 VV RVG) beschränkt ist.
2. Wird im Beschwerdeverfahren der Kostenfestsetzung kein konkreter Antrag formuliert, ist das Rechtsschutzziel durch Auslegung zu ermitteln. Ergibt die Auslegung, dass die angefochtene Entscheidung nach dem Inhalt der Beschwerdebegründung keinen Fehler zum Nachteil des Rechtsmittelführers enthält, ist die Sache mangels Erreichen des Beschwerdewertes in die erste Instanz zu dort abschließender Entscheidung zurückzugeben.
OLG Koblenz, Beschl. v. 26.5.2015 – 14 W 341/15
Sachverhalt
Der Kl. hatte gegen das mit einem Betrag von 20.500 EUR zu seinem Nachteil ergangene Urteil des LG Bad Kreuznach Berufung eingelegt. Der Bekl. hat durch seinen Prozessbevollmächtigten die Zurückweisung dieser Berufung beantragt. Hieraufhin hat der Kl. seine Berufung hinsichtlich eines Wertes von 5.500 EUR begründet. Die Berufung blieb erfolglos. Aufgrund der zu seinen Gunsten ergangenen Kostenentscheidung hat der Bekl. – soweit hier von Interesse – für das Berufungsverfahren die Festsetzung einer 1,6 Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV RVG nach einem Gegenstandswert von 20.500 EUR in Höhe von 1.187,20 EUR geltend gemacht. Die Rechtspflegerin hat diesem Kostenfestsetzungsantrag entsprochen.
Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat sich der Kl. dagegen gewandt, dass die Rechtspflegerin die zweitinstanzliche Verfahrensgebühr durchweg nach einem Satz von 1,6 und nicht differenzierend nach Sätzen von 1,6 und 1,1 für erstattungsfähig erachtet hat. Die Rechtspflegerin hat dieser sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem OLG Koblenz zur Entscheidung vorgelegt. Das OLG hat eine Entscheidung abgelehnt und die Sache an das LG Bad Kreuznach zurückgegeben.
2 Aus den Gründen:
" … Der Kl. wendet sich dagegen, dass die zweitinstanzliche Verfahrensgebühr auf Beklagtenseite durchweg nach einem Satz von 1,6 und nicht differenzierend nach Sätzen von 1,6 und 1,1 für erstattungsfähig erachtet wurde. Diese Sicht ist zutreffend, trägt indessen das Rechtsmittel nicht. Insoweit ist zu bemerken:"
Grds. ist die streitige Gebühr der Nr. 3200 VV RVG mit der Einreichung des Berufungszurückweisungsantrags in dem von der Rechtspflegerin angesetzten Umfang von 1,6 aus 20.500 EUR und daher in Höhe von 1.187,20 EUR erfallen, weil der Ermäßigungstatbestand der Nr. 3201 VV RVG nicht erfüllt ist (BGH NJW 2009, 3102; BGH JurBüro 2015, 90).
Das besagt aber nichts hinsichtlich ihrer Erstattungsfähigkeit gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Hier gilt vielmehr:
Vom Kl. zu ersetzen ist die Gebühr von 1,6 lediglich hinsichtlich eines Werts von 5.500 EUR, dessentwegen die (erfolglose) Berufung später von ihm begründet wurde; dagegen ist die Erstattungsfähigkeit in Bezug auf den überschießenden Eingangswert des Rechtsmittels von 15.000 EUR auf einen Satz von 1,1 begrenzt (BGH JurBüro 2008, 35; BGH JurBüro 2014, 79). Daraus ergeben sich Beträge von einerseits 566,40 EUR und andererseits 715,00 EUR, also von insgesamt 1.281,40 EUR.
Da der Kl. damit schlechter als bei der Berechnung der Rechtspflegerin dastünde, wird gem. § 15 Abs. 3 RVG am Ende wieder der von dieser ermittelte Betrag von 1.187,20 EUR maßgeblich.
Daraus erhellt, dass das vorliegende Rechtsmittel nur scheinbar auf eine Besserstellung gerichtet ist. Tatsächlich ist der gesetzliche Beschwerdewert von mehr als 200 EUR (§ 567 Abs. 2 ZPO) nicht erreicht. Mithin muss die Sache dem LG zur alleinigen Beurteilung überlassen werden (§ 11 Abs. 2 RPflG).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil die Sache hier nicht anhängig geworden ist.“
Eingesandt von RiOLG Ernst Weller
3 Anmerkung:
Aufgrund der verfahrensrechtlichen Besonderheiten musste das OLG Koblenz in seiner Entscheidung nicht zur Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr Stellung nehmen. Dabei geht es insb. um folgende Probleme
I. Erstattungsfähigkeit der Verfahrensgebühr nach Berufungseinlegung
Die Verfahrensgebühr ist in einem solchen Fall erstattungsfähig, wenn der Antrag auf Zurückweisung der Berufung für den Berufungsbeklagten – hier also für den Bekl. – zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Die Partei kann nämlich die Erstattung der von ihr aufgewendeten Kosten nur insoweit beanspruchen, als sie der aus dem Prozessrechtsverhältnis obsiegenden Pflicht nachgekommen ist, die Kosten möglichst niedrig zu halten (BGH RVGreport 2007, 427 (Hansens) = AGS 2007, 537; BGH RVGreport 2010, 76 (ders.). Danach ist der die 1,6 Verfahrens...