1. In der Rangfolge der Verbindlichkeit von Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten, der Lichtzeichen von Wechsellichtanlagen und der Verkehrszeichen bestimmt die StVO die Verbindlichkeit in dieser Reihenfolge (§§ 36, 37, 39 StVO), wobei Sonderrechtsfahrzeugen der Vorrang eingeräumt wird (§§ 36, 39 StVO), bei Fehlen spezieller vorrangiger Anordnungen für den praxiswichtigsten Bereich der Vorfahrt auf die Regelung rechts vor links abzustellen ist (§ 8 StVO).
Der konfliktträchtigste Bereich der Bewältigung von Vorfahrtsituationen ist bei dem Einfahren von Verkehrsteilnehmern im Zusammenhang mit der Regelung durch Wechsellichtzeichen festzustellen, wobei der Zweck der Wechsellichtzeichen, Gefährdungen des kreuzenden und entgegenkommenden Verkehrs auszuschließen, für Verkehrsteilnehmer, die bei Gelb zeigender Lichtzeichenanlage in den Kreuzungsbereich einfahren, bei fehlerhaftem Verhalten nicht immer gesichert ist (vgl. auch OLG Düsseldorf DAR 1888, 100). Verkehrszeichen, die ein Gebot oder Verbot wie das Gelblicht enthalten, sind Allgemeinverfügungen, die sich an die beteiligten Verkehrsteilnehmer richten (vgl. BGH NJW 1971, 220, 222), was es nahe legt, dass der Adressat der Allgemeinverfügung entsprechend § 37 Nr. 1 StVO bei Gelb vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten müsste. Das bringt oft die Schwierigkeit mit sich, dass der Verkehrsteilnehmer bei für ihn geltendem Gelblicht nicht mehr ohne die Gefährdung nachfolgenden Verkehrs bis zur Haltelinie anhalten kann. Eine Vollbremsung könnte zur Gefährdung nachfolgenden Verkehrs führen, so dass zumindest in der ersten Gelbphase die Abwägung dafür spricht, dass er nicht zu einer Vollbremsung verpflichtet ist (vgl. BGH NZ 1992, 157; KG VRS 67, 68; KG VM 92, 101; Jahnke, in: Heß/Burmann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 34. Aufl., § 37 StVO Rn 14; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 37 Rn 24).
Kann dem Verkehrsteilnehmer bei Beachtung dieser Grundsätze nicht gelingen, vor der Haltelinie bei Gelb anzuhalten, darf er über die Haltelinie hinweg in den Kreuzungsbereich einfahren. Er erhält eine zweite Chance, die Kollision mit entgegenkommendem, seine Fahrspur kreuzenden Verkehr zu vermeiden; zwar darf er unter Beachtung des Querverkehrs vorsichtig weiterfahren, muss aber vor dem inneren Kreuzungsbereich, der aus den das Viereck des Kreuzungsbereich bildenden Fluchtlinien besteht, anhalten (vgl. BGH NZV 1992, 157; OLG Köln DAR 1976, 250; OLG Stuttgart NJW 1961, 2361; OLG Celle VRS 55, 70; vgl. auch Jahnke, a.a.O.; König, a.a.O.). Um das Ziel des Anhaltens vor dem "eigentlichen" Kreuzungsbereich zu erreichen, "darf und muss" (König, a.a.O.) der Einfahrende ohne Rücksicht auf den folgenden Verkehr, der etwa einen nicht ausreichenden Sicherheitsabstand einhält, auch scharf bremsen, da es allein Sache des nachfolgenden Verkehrs ist, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen (vgl. BGH NZV 1992, 157; OLG Frankfurt DAR 72, 83; OLG Düsseldorf NZV 1992, 301; König, a.a.O. § 37 StVO Rn 24).
Der Sachverhalt bot die Besonderheit, dass es dem Bekl. zum einen bei normaler Bremsung möglich war, den Sattelzug vor der Haltelinie der Lichtzeichenanlage anzuhalten; selbst dann, wenn ihm dies nicht möglich gewesen wäre, musste er jedenfalls vor der gedachten Haltelinie des inneren Kreuzungsbereichs anhalten. Zum anderen ergab sich ein Vorrecht des Bekl. zu 1) nicht daraus, dass zu seinen Gunsten die Grün-Pfeil-Regelung des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 3 StVO eingriff. Eine solche Lichtzeichenregelung, die das Abbiegen in der von ihm geplanten Richtung freigab, hätte zugleich bedeutet, dass der Gegenverkehr durch Rot abgeschirmt ist (vgl. BGH NZV 1992, 108; KG VM 88, 70, 73).
2. Häufig ist Unfallursache bei Kollisionsfällen die irrige Annahme des in den Kreuzungsbereich Einfahrenden, dass ihm der sog. Nachzüglervorrang ein Vorrecht für die Weiterfahrt gegenüber kreuzendem Verkehr gewährt. Befinden sich im Kreuzungsbereich Verkehrsteilnehmer, die mit ihren Fahrzeugen noch bei Grün zeigender Lichtzeichenanlage eingefahren sind, aber durch Querverkehr an der Weiterfahrt und dem gefahrmindernden Verlassen des Kreuzungsbereichs gehindert wurden, wird dem Nachzügler der Vorrang gegenüber dem anfahrenden Verkehr eingeräumt (vgl. KG zfs 2012, 18, 19 m. Anm. Diehl m.w.N.; OLG Dresden zfs 2006, 318 f. m. Anm. Diehl). Das Kreuzungsräumerprivileg muss sich der Einfahrende verdient haben, was nur dann der Fall ist, wenn er ein echter Nachzügler ist. Das ist er nur dann, wenn er noch bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist und den inneren Kreuzungsbereich erreicht hatte. War er bei Gelb eingefahren, war sein Problem, die Kreuzung zu verlassen, allein auf sein fehlerhaftes Verhalten, das unterbliebene Anhalten – sei es vor der zur Lichtzeichenanlage gehörenden Haltelinie, sei es vor der inneren Haltelinie vor dem "eigentlichen" Kreuzungsbereich – zurückzuführen.
3. Der Senat hat bei der Haftungsabwägung die Betriebsgefahr des Motorrads des Kl. wegen der von ihm ei...