aufgrund der Pressemitteilung des EuGH Nr. 155/23 v. 12.10.2023: Nach dem Urt. des EuGH in der Rechtssache C-286/22 v. 12.10.2023 fällt ein Fahrrad mit Elektrounterstützung nicht unter die Kfz- Haftpflichtversicherungspflicht, da es nicht ausschließlich maschinell angetrieben wird.
Zum Fall: Ein Radfahrer auf einem Fahrrad mit Elektrounterstützung wurde im öffentlichen Straßenverkehr in der Nähe von Brügge (Belgien) Opfer eines schweren Unfalls: Er wurde von einem Auto angefahren, schwer verletzt und verstarb einige Monate später. Im späteren Gerichtsverfahren zur Feststellung eines möglichen Entschädigungsanspruchs wurden unterschiedliche Auffassungen zur rechtlichen Einordnung des Fahrrads mit Elektrounterstützung vertreten: Ist es als "Fahrzeug" anzusehen? Im vorliegenden Fall bot der Motor, auch bei Nutzung der Boost-Funktion, nur eine Tretunterstützung. Außerdem konnte diese Funktion nur nach Einsatz von Muskelkraft aktiviert werden (durch Treten, Schieben oder Anschieben des Fahrrads). Die rechtliche Einordnung des betreffenden Fahrrads ist entscheidend für die Feststellung, ob der Geschädigte Fahrer eines "Kfz" war oder ob er als "schwacher Verkehrsteilnehmer" nach belgischem Recht Anspruch auf eine automatische Entschädigung hatte.
Da der Begriff "Fahrzeug" in den einschlägigen belgischen Rechtsvorschriften demjenigen in einer europäischen Richtlinie im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 über die Kfz-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht [ABl 2009, L 263, S. 11]) entspricht, hat der belgische Kassationshof beschlossen, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung dieses Begriffs vorzulegen.
In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Richtlinie keinen Hinweis darauf enthält, ob ein "Fahrzeug" ausschließlich maschinell angetrieben sein muss.
Er legt jedoch dar, dass sich die Richtlinie auf die "Kfz-Haftpflichtversicherung" bezieht; dieser Ausdruck bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch üblicherweise eine Haftpflichtversicherung für den Verkehr von Gefährten wie Motorrädern, Personenkraftwagen und Lastkraftwagen, die ausschließlich maschinell angetrieben werden.
Der Gerichtshof weist auch auf das Ziel der Richtlinie hin, nämlich den Schutz der Opfer von durch Kraftfahrzeuge verursachten Verkehrsunfällen. Dieses Ziel erfordert nicht, dass Fahrräder mit Elektrounterstützung unter den Begriff "Fahrzeug" im Sinne der Richtlinie fallen.
Gefährte, die nicht ausschließlich maschinell angetrieben werden, wie etwa Fahrräder mit Elektrounterstützung, die ohne Treten auf eine Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h beschleunigt werden können, sind nämlich nicht geeignet, Dritten Personen- oder Sachschäden zuzufügen, die mit denen vergleichbar sind, die von Motorrädern, Personenkraftwagen, Lastkraftwagen oder anderen ausschließlich maschinell angetriebenen Fahrzeugen verursacht werden können, da letztere wesentlich schneller fahren können.
Die Definition des Begriffs "Fahrzeug" in der Richtlinie ändert sich zum 23.12.2023, ab dem die Richtlinie (EU) 2021/2118 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.11.2021 zur Änderung der Richtlinie 2009/103/EG (ABl 2021, L 430, S. 1) anwendbar ist. Diese neue Definition bestimmt ausdrücklich, dass ein "Fahrzeug" "jedes Kraftfahrzeug [ist], das ausschließlich maschinell angetrieben wird", und enthält nähere Bestimmungen zu Gewicht und Geschwindigkeit.
Vgl. i.Ü. Ziegenhardt, Elektrofahrrad, E-Bike, Pedelec – Unterscheidung und Haftung, NJW-Spezial 2016, 585.
zfs 12/2023, S. 719 - 720