Gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechte-Verordnung kann sich das Luftfahrtunternehmen dann entlasten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung (bzw. große Verspätung) auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Nur wenn alle Voraussetzungen (kumulativ) erfüllt sind, muss das Luftfahrtunternehmen keine Ausgleichszahlung leisten.
1. Stufe: Außergewöhnlicher Umstand
In der ersten Stufe hat das Luftfahrtunternehmen also substantiiert darzulegen (und im Bestreitensfall ggf. zu beweisen), dass überhaupt "außergewöhnliche Umstände" im Sinne der Verordnung vorlagen. Nach Erwägungsgrund 14 Satz 2 der Verordnung können solche außergewöhnlichen Umstände insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
Der EuGH hat nun entschieden, dass die Kollision eines Treppenfahrzeugs mit einem Flugzeug keinen außergewöhnlichen Umstand darstelle, der das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichspflicht befreien könnte. Der EuGH betont, dass von Annullierung oder großer Verspätung betroffene Fluggäste grundsätzlich Ausgleichsleistungen erhalten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung eine Ausnahme von diesem Grundsatz darstelle und daher eng auszulegen sei. Zu einem auf die Kollision eines Treppenfahrzeugs eines Flughafens mit einem Flugzeug zurückzuführenden technischen Problem merkt der EuGH jetzt an, dass Treppenfahrzeuge oder Gangways, die es den Fluggästen ermöglichen, aus dem Flugzeug ein- und auszusteigen, bei der Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr notwendigerweise eingesetzt werden, so dass die Luftfahrtunternehmen regelmäßig mit Situationen konfrontiert sind, die sich aus dem Einsatz solcher Treppenfahrzeuge ergeben. Deshalb ist die Kollision eines Flugzeugs mit einem Treppenfahrzeug als ein Vorkommnis anzusehen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens ist. Daher könne ein solches Vorkommnis nicht als "außergewöhnlicher Umstand" qualifiziert werden.
Im Ergebnis gegenteilig entschied der BGH mit zwei Urteilen vom 12.6.2014 für Flugverspätungen aufgrund von Generalstreik bzw. Radarausfall. Im ersten Fall war die mehr als 3-stündige Verspätung eines Hinflugs von Frankfurt am Main nach Mahón (Menorca) auf einen Generalstreik (oder auf krankheitsbedingt fehlende Fluglotsen) in Griechenland zurückzuführen, wovon das eingesetzte Flugzeug beim vorherigen Umlauf betroffen war. Die ebenfalls mehr als 3-stündige Verspätung des Rückflugs beruhte auf einem Radarausfall, ebenfalls im griechischen Luftraum, der wiederum die Ankunft des für den Rückflug eingesetzten Flugzeugs in Mahón verzögert hatte. Im zweiten Fall verspäteten sich Abflug und Ankunft eines Fluges von Stuttgart nach Palma de Mallorca um mehr als drei Stunden wegen eines an diesem Tag stattfindenden Generalstreiks in Griechenland, der zu einer zeitweisen Sperrung des griechischen Luftraums führte und die vorangegangenen Flüge des eingesetzten Flugzeugs von und nach Griechenland betraf. Der BGH urteilte dazu jeweils, dass ein Generalstreik sowie der im Vorfeld eines Fluges aufgetretene Radarausfall außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechtverordnung begründen. Streik und Radarausfall wirken von außen auf den Flugbetrieb und die gesamte Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ein und können von diesem nicht beherrscht werden. Die hierdurch verursachten Beeinträchtigungen des Flugplans des Luftverkehrsunternehmens beruhen damit insgesamt auf außergewöhnlichen Umständen, auch soweit die unmittelbare Störung bei am selben Tag vorausgegangenen anderen Flügen des eingesetzten Flugzeugs aufgetreten ist.
Der BGH stellt ausdrücklich klar, dass es nicht darauf ankommt, ob der streitgegenständliche Flug von den außergewöhnlichen Umständen betroffen ist oder ob es sich "nur" um eine sogenannte Umlaufverspätung handelt – solange die Störungen jedenfalls am selben Tag bei vorangegangenen Flügen des eingesetzten Flugzeugs auftreten. Denn bei Flugzeugen, die auf Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt werden, seien mehrere Umläufe am selben Tag üblich, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Flugzeugs zu ermöglichen. Es könne nicht darauf ankommen, ob die betreffenden Umstände unmittelbar auf den betroffenen Flug einwirken oder sich als Auswirkung einer Beeinträchtigung bei einem der vorangegangenen Umläufe darstellen.