VO (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3
Leitsatz
1. Eine große Verspätung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück und befreit damit von der Verpflichtung zu einer Ausgleichsleistung, wenn sie durch dem Luftverkehrsunternehmen in der gegebenen Situation (hier: nach Startabbruch infolge Vogelschlags) mögliche und zumutbare Maßnahmen nicht vermieden werden konnte.
2. Das Luftverkehrsunternehmen muss Art, Umfang und zeitlichen Ablauf der konkreten Maßnahmen darlegen, die es nach dem Eintritt des Ereignisses getroffen hat, um den Flug so bald wie möglich durchzuführen.
BGH, Urt. v. 16.9.2014 – X ZR 102/13
Sachverhalt
Der Kl. macht gegen die beklagte Fluggesellschaft wegen der Verspätung eines gebuchten Fluges Ausgleichszahlungen aus eigenem Recht und nach Abtretung des Anspruchs seiner Lebensgefährtin geltend. Das Flugzeug sollte um 6.20 Uhr starten. Der Start erfolgte mit einer vierzig minütigen Verspätung. Während des Startvorgangs wurde ein Triebwerk des Flugzeugs durch einen Vogelschwarm beschädigt. Der neue Start erfolgte um 15.30 Uhr. Die Passagiere kamen etwa neun Stunden nach dem zunächst geplanten Ankunftstermin am Bestimmungsort an. Das BG verneinte einen Anspruch auf die verlangten Ausgleichszahlungen. Der Vogelschlag sei ein außergewöhnlicher Umstand, der von außen auf den Flugverkehr einwirke und von dem Luftfahrtunternehmen nicht zu beherrschen sei. Die Bekl. habe auch ausreichend dargelegt, dass die von ihr ergriffenen Maßnahmen, zunächst der durchgeführten Untersuchung der Maschine und sodann der Einsatz der Ersatzmaschine geeignet gewesen seien, die Verspätung möglichst gering zu halten. Die vom LG als BG zugelassene Revision der Bekl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung an das BG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.
2 Aus den Gründen:
[7] "… 1. Das BG ist allerdings zutreffend und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, dass ein durch Vogelschlag verursachter Turbinenschaden, der den Abbruch des Starts oder die Notlandung des Flugzeugs erzwingt, geeignet ist, außergewöhnliche Umstände i.S.d. Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu begründen, die einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung ausschließen können. Diese Frage hat der Senat bereits entschieden (BGH, Urt. v. 24.9.2013 X ZR 160/12, NJW 2014, 861 = RRa 2014, 25 m.w.N.)."
[8] 2. Ebenso zutreffend hat das BG auf die Verspätung bei Ankunft des Ersatzflugzeugs in Hurghada abgestellt und sich nicht gesondert mit der vierzigminütigen Abflugverspätung des beim Start beschädigten Flugzeugs auseinandergesetzt. Maßgeblich für den Anspruch auf Ausgleichszahlung ist der Umfang der eingetretenen Ankunftsverspätung (EuGH, Urt. v. 19.11.2009 – C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 – Sturgeon/Condor, und Urt. v. 23.10.2012 – C-581/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 – Nelson/Lufthansa; BGH, Urt. v. 18.2.2010 – Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93; Urt. v. 7.5.2013 – X ZR 127/11, NJW-RR 2013, 1065 = RRa 2013, 237), den das BG von den Parteien unbeanstandet mit neun Stunden festgestellt hat.
[9] 3. Rechtsfehlerfrei hat das BG zudem angenommen, dass Gegebenheiten wie der in Rede stehende Vogelschlag nur dann außergewöhnliche Umstände, auf die die Annullierung oder große Verspätung zurückgeht, begründen, wenn das Luftverkehrsunternehmen trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen die Annullierung oder große Verspätung nicht verhindern kann oder sie auch mit diesen Maßnahmen nicht hätte verhindern können (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn 22; BGHZ 194, 258 Rn 11).
[10] Zu Art und Umfang in Betracht kommender zumutbarer Maßnahmen hat sich der Senat in zwei Entscheidungen v. 12.6.2014 (X ZR 121/13, juris = MDR 2014, 1130 und X ZR 104/13, juris) geäußert. Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich danach nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn 40, 42; Urt. v. 12.5.2011 – C-294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 Eglitis und Ratnieks/Air Baltic Rn 30). Es kommt zum einen darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftverkehrsunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außer Stande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten. Zum anderen muss das Luftverkehrsunternehmen, wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert. Hingegen begründet die Fluggastrechteverordnung keine Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen, ohne konkreten Anlass Vorkehr...