Verfahrensordnung EuGH Art. 104 § 3 Abs. 1; Richtlinie 91/439/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 und 4, Art. 7 Abs. 1; AEUV Art. 267
Leitsatz
Es läuft den Art. 1 Abs. 2 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates v. 29.7.1991 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission v. 14.9.2000 geänderten Fassung nicht zuwider, wenn ein Mitgliedstaat es ablehnt, Fahrerlaubnisse für Fahrzeuge der Klassen B und C anzuerkennen, die ein anderer Mitgliedstaat einer Person ausgestellt hat, gegen die der erste Mitgliedstaat zuvor Maßnahmen i.S.v. Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie verhängt hatte, wenn die Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B in dem zweiten Mitgliedstaat, wie sich aus den Eintragungen in dem entsprechenden Führerschein ergibt, unter Nichtbeachtung der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der genannten Richtlinie vorgesehenen Voraussetzung betreffend den ordentlichen Wohnsitz erteilt wurde und die Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse C auf der Grundlage der ersten Fahrerlaubnis erteilt wurde, ohne dass sich die Nichtbeachtung der genannten Voraussetzung betreffend den ordentlichen Wohnsitz aus dem neuen Führerschein ergäbe, der gem. dieser Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse C ausgestellt wurde
EuGH, Beschl. v. 22.11.2011 – Rechtssache C–590/10 (Köppl)
Sachverhalt
Einem Deutschen wurde nach dem Entzug der FE in Deutschland zunächst 2004 in Tschechien eine Fahrerlaubnis der Klasse B unter offensichtlichem Wohnsitzverstoß (Eintrag deutscher Wohnsitz im Führerschein) ausgestellt. 2008 wurde die Fahrerlaubnis auf die Klasse C erweitert, ohne dass sich aus dem Führerschein ein Wohnsitzverstoß ergibt (tschechischer Wohnsitz eingetragen). EuGH: Die Nichtanerkennung erfolgt in diesem Fall zu Recht. Die Fahrerlaubnis der Klasse B, der ein Fehler anhafte, könne keine geeignete Grundlage für die FE der Klasse C sein. Beurteilungsmaßstab war die 2. EU-Führerscheinrichtlinie.
2 Aus den Gründen:
"[1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 1 Abs. 2 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates v. 29.7.1991 über den Führerschein (ABl L 237, S. 1) in der durch die Richtlinie 2000/56/EG der Kommission v. 14.9.2000 (ABl L 237, S. 45) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 91/439)."
[2] Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Köppl, der deutscher Staatsangehöriger und im Besitz eines in der Tschechischen Republik ausgestellten Führerscheins ist, und dem Freistaat Bayern über die Weigerung der deutschen Behörden, die Fahrerlaubnisse für Fahrzeuge der Klassen B und C anzuerkennen, die Herrn Köppel in der Tschechischen Republik erteilt worden sind.
Rechtlicher Rahmen …
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
[14] Herr Köppl erwarb 1982 erstmals eine deutsche Fahrerlaubnis.
[15] Zwischen 1988 und 1997 wurde Herr Köppl in Deutschland mehrfach wegen Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort unter Entziehung der Fahrerlaubnis zu Geldstrafen verurteilt.
[16] Am 3.5.1999 erwarb Herr Köppl in Deutschland eine Fahrerlaubnis. Diese Fahrerlaubnis wurde ihm in diesem Staat in der Folge entzogen, weil er sich am 14.6.2002 einer Straftat der vorsätzlichen Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen schuldig gemacht hatte. Er wurde außerdem zu einer Geldstrafe verurteilt.
[17] Im Rahmen eines Antrags auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland gelangte ein am 2.8.2004 erstelltes medizinisch-psychologisches Fahreignungsgutachten zu dem Ergebnis, es sei zu erwarten, dass Herr Köppl ein Kfz unter Alkoholeinfluss führen werde. Aus diesem Gutachten ergab sich ferner, dass Herr Köppl aufgrund der im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangenen Straftaten die Anforderungen an das Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 (d.h. gem. Anhang III der Richtlinie 91/439 von Fahrzeugen der Klassen C, C + E, D, D + E und der Unterklassen C1, C1 + E, D1 und D1 + E) zum damaligen Zeitpunkt nicht erfüllt habe. Sein Antrag wurde daher abgelehnt.
[18] Am 28.10.2004 erwarb Herr Köppl in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klassen A und B. Die tschechischen Behörden stellten ihm am 29.10.2004 einen entsprechenden Führerschein aus (im Folgenden: tschechischer Führerschein v. 29.10.2004). In diesem Führerschein ist ein in Deutschland gelegener Wohnort eingetragen.
[19] Am 30.10.2008 wurde Herrn Köppl in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse C erteilt. In dem Herrn Köppl am selben Tag ausgestellten entsprechenden neuen tschechischen Führerschein (im Folgenden: tschechischer Führerschein v. 30.10.2008) sind ein in Tschechien gelegener Wohnort und das Datum der Erteilung einer Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Klasse B, der 28.10.2004, eingetragen.
[20] Herr Köppl leitete vor dem BayVG Regensburg ein Verfahren gegen den Freistaat Bayern ein, mit dem er die Anerkennung seiner Fahrerlaubnisse für Fahrzeuge der Klassen B und C durch die deutschen Behörden erwirken wollte...