A. Vorbemerkungen
Es bedarf einer klaren, einheitlichen Handhabung für den Begriff "Schrittgeschwindigkeit". Die jetzige Situation verstößt ohne Not gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, nach dem der Einzelne von vornherein wissen können muss, was erlaubt und was straf- bzw. ordnungsrechtlich verboten ist. Eine eindeutige Definition der Schrittgeschwindigkeit sollte sowohl für das Ordnungswidrigkeiten-, als auch für das Haftungs- und das Verwaltungsrecht gelten.
Geschwindigkeitsverstößen liegen im Regelfall unmissverständliche Beschilderungen mit jeweils einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit zugrunde, die für jeden offensichtlich in Deutschland und den meisten anderen Staaten in Europa in Stundenkilometern angegeben wird. Wird diese physikalisch klar definierte Grenze überschritten, handelt der Betroffene ordnungswidrig. Unsicherheiten können dann noch bei konkreten Messergebnissen bestehen, nicht aber in der Frage, was genau noch an Geschwindigkeit erlaubt ist.
Eine Ausnahme ist die Schrittgeschwindigkeit. Hier ist schon bei dem Ausgangspunkt nicht sicher, wo die zulässige Höchstgeschwindigkeit als fest definierte physikalische Größe aus Zeit und Strecke liegen soll. Stattdessen wird auf eine zu Fuß übliche oder erzielbare Geschwindigkeit eines Menschen abgestellt, bei der nur ausgeschlossen ist, dass er läuft. Gehen erfordert im Gegensatz zum Laufen mindestens einen Fuß auf dem Boden zu haben. Kurzfristig durch Sprinter erzielbare Laufgeschwindigkeiten von mehr als 40 km/h sind hier deshalb kein Maßstab.
Die Schrittgeschwindigkeit wird als Tatbestandsmerkmal in der StVO und den folgenden Nummern des Bußgeldkatalogs genannt:
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§ 20 Abs. 2 und 4 StVO; Nr. 91 bis 92.2, 94, 95 BKat: zum Schutz von Straßenbahn- und Busfahrgästen beim Ein- und Austeigen. Ergänzt wird, dass die Regelbuße aus diesen Nummern nur dann gilt, wenn sich nicht aus der Nr. 11 BKat, der allgemeinen Beschreibung zur erlaubten Höchstgeschwindigkeit, ein höheres Bußgeld ergibt. |
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Nr. 146 BKat: bei auf Gehwegen zugelassenen Fahrzeugverkehr. Die §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, auf denen Nr. 146 BKat gründet, nennen die Schrittgeschwindigkeit nicht, sondern verweisen auf die Vorschriftszeichen der Anlage 2 der StVO, hier das Zeichen 239. |
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Nr. 157.1 bis 3 BKat: beim Führen von Fahrzeugen in verkehrsberuhigten Bereichen gründet auf §§ 42 Abs. 2, 49 Abs. 3 StVO, wo durch § 42 Abs. 2 auf die Zeichen in Anlage 3 der StVO, hier Zeichen 325.1 verwiesen wird. |
Die Schrittgeschwindigkeit findet sich als Tatbestandsmerkmal dann noch in § 21a Abs. 1 Nr. 3 StVO, das den Fahrer von der Pflicht den Sicherheitsgurt anlegen zu müssen, bei Fahrten "mit Schrittgeschwindigkeit" wie Rückwärtsfahren und auf Parkplätzen befreit. § 24 Abs. 2 StVO regelt für Krankenfahrstühle die Befahrbarkeit von Fußgängerverkehrsflächen, "jedoch nur mit Schrittgeschwindigkeit."
In der Tatbestandsbeschreibung des Nr. 146a des Bußgeldkatalogs findet sich für das Befahren von Radwegen mit Fahrzeugen eine etwas abweichende Definition: "Die Geschwindigkeit nicht angepasst". Dem entsprechend erläutert die StVO zum Zeichen für Gehweg (Zeichen 239 zeigt eine Frau mit Kind auf blauem, runden Schild) u.a.: "2. Fahrzeugführer müssen in diesem Fall auf Fußgänger Rücksicht nehmen und die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen." Danach dürfte es zulässig sein, hier auch schneller als Schrittgeschwindigkeit zu fahren, wenn keine Fußgänger in der Nähe sind.
B. Definition der Schrittgeschwindigkeit
Der durchschnittlich vorgebildete Laie wird Schrittgeschwindigkeit ähnlich wie Wikipedia als "eine relativ niedrige Geschwindigkeit, die nur so schnell ist, wie ein Fußgänger gehen kann" definieren. Das ist schon ungenau, die Definitionsversuche der...