Das OLG Hamburg hat richtig entschieden, der Begründung kann ich jedoch nicht in allen Punkten folgen.
I. Keine Anrechnung einer vereinbarten Vergütung
Die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG setzt voraus, dass eine Geschäftsgebühr entstanden ist. Folglich kommt eine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits dann auch nicht in Betracht, wenn keine Geschäftsgebühr entstanden ist. Dies ist – wie hier bei der Kl. – der Fall, wenn der Erstattungsberechtigte seinem Prozessbevollmächtigten aufgrund einer Vergütungsvereinbarung gar keine Geschäftsgebühr schuldet.
II. Auswirkungen auf die Kostenerstattung
Findet nach dem Gesetz keine Anrechnung auf die Verfahrensgebühr statt, kann sich folgerichtig ein Dritter auch nicht gem. § 15a Abs. 2 RVG auf "die Anrechnung" berufen. Dies gilt nämlich – wie aus § 15a Abs. 1 RVG nur folgt – nur dann, wenn "dieses Gesetz" (also das RVG) "die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr" vorsieht. Da das RVG eine Anrechnung einer vereinbarten Vergütung auf die Verfahrensgebühr eben nicht regelt, greift § 15a RVG in seinen beiden Absätzen von vornherein nicht ein.
Deshalb halte ich die Ausführungen des OLG Hamburg nicht für zutreffend, der Bekl. habe durch sein Anerkenntnis sehenden Auges auf die Möglichkeit der Anrechnung der vorgerichtlichen Kosten auf die Verfahrensgebühr verzichtet. Diese Anrechnungsmöglichkeit hat nämlich von vornherein nicht bestanden. Folglich kommt es auch – anders als es das OLG Hamburg sieht – nicht darauf an, ob der Bekl. die vorgerichtlichen Anwaltskosten anerkannt oder in einem Vergleich übernommen hat oder er zu deren Zahlung durch streitiges Endurteil verpflichtet wurde.
Ebenso wenig kann ich der Auffassung des OLG Hamburg zustimmen, der Bekl. müsse mehr als die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwalts der Kl. erstatten. Sieht das RVG die Anrechnung einer vereinbarten Vergütung auf die Verfahrensgebühr nicht vor, so ist die unverminderte Verfahrensgebühr die gesetzliche Vergütung, die der erstattungspflichtige Bekl. gem. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO zu erstatten hat.
III. Ausnahmen
Eine Berücksichtigung der Anrechnung einer vereinbarten Vergütung auf die Verfahrensgebühr hat der BGH bisher nur in zwei Ausnahmefällen vorgesehen:
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Der X. ZS des BGH, RVGreport 2014, 352 (Hansens) = zfs 2014, 648 mit Anm. Hansens = AGS 2014, 468 hat die auf der Grundlage einer Stundenhonorarvereinbarung geschuldete Vergütung für die Vertretung vor der Vergabekammer entsprechend Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG im dort vorgesehenen Umfang auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Beschwerdeverfahrens angerechnet. Diese Entscheidung kann nicht verallgemeinert werden, sondern ist nur mit den Besonderheiten des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens zu erklären. |
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Der III. ZS des BGH RVGreport 2015, 72 (Hansens) = zfs 2015, 105 m. Anm. Hansens = AnwBl. 2015, 274 hat die Anrechnung einer vereinbarten Vergütung im Kostenfestsetzungsverfahren nach dem Grundsatz von Treu und Glauben in dem Fall berücksichtigt, in dem der den Rechtsstreit beendende Vergleich auf der Grundlage geschlossen wurde, dass außergerichtlich eine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen und nicht – wie tatsächlich geschehen – eine Vergütungsvereinbarung getroffen worden war. |
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Für eine dritte Fallgestaltung, die auch das OLG Hamburg angesprochen hatte, dass nämlich die Vergütungsvereinbarung in missbräuchlicher Weise nur getroffen worden sei, um die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG zu umgehen, hat der BGH bisher keine positive Entscheidung getroffen. Der VIII. ZS des BGH hat in seinem Beschluss RVGreport 2009, 433 (Hansens) = AGS 2009, 523 lediglich ausgeführt, dass in jenem Fall für einen solchen Missbrauch keine Anhaltspunkte bestanden hätten. Nach Auffassung des 5. ZS des KG RVGreport 2010, 343 (Hansens) kommt eine Anrechnung auch dann nicht in Betracht, wenn die Vergütungsvereinbarung allein zum Inhalt hat, dass die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG unterbleibt. An Hand eines Falls aus der Praxis habe ich diese Problematik in RVGreport 2015, 127 ausführlich erörtert. |
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens
zfs 4/2015, S. 226 - 228