"II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Das Urt. des AG beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere als die getroffene Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO)."
1. Zutreffend ist das AG zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl. als auch der Kl. grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens einzustehen haben. Dass die Erstrichterin dabei auf die vorliegend nicht mehr anwendbare Regelung des § 3 Nr. 1 PflVG a.F. abgestellt hat, statt auf die Vorschrift des § 115 VVG zurück zu greifen, ist im Ergebnis unschädlich, da sich die eingetretene Änderung der Rechtslage insoweit nicht auswirkt.
2. Ohne Rechtsfehler hat das AG im Rahmen der nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotenen Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile angenommen, dass der Unfall durch ein Verschulden der Erstbekl. verursacht worden ist.
a) Soweit das AG einen Verstoß der Erstbekl. gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO bejaht hat, weil sie als Linksabbiegerin ihrer Pflicht zur doppelten Rückschau nicht nachgekommen ist, begegnet dies keinen Bedenken und wird auch von der Berufung nicht in Zweifel gezogen.
b) Das AG ist auch im Ergebnis zu Recht von einem Verstoß gegen § 38 Abs. 1 S. 2 StVO ausgegangen. Nach dieser Regelung war die Erstbekl. gegenüber dem Notarzteinsatzfahrzeug der Bekl., das mit Blaulicht und Einsatzhorn fuhr, verpflichtet, sofort freie Bahn zu schaffen. Dieses Gebot galt unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn tatsächlich gegeben waren (vgl. KG MDR 1997, 1121; VRS 100, 329; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 38 StVO Rn 11 m.w.N.). Die Erstbekl. hätte danach beiseite oder rechts heran oder scharf rechts ganz langsam fahren und ggf. anhalten müssen, bis sie hätte beurteilen können, ob sie das Einsatzfahrzeug behindern würde (vgl. OLG Hamm zfs 1999, 51; Hentschel, a.a.O. § 38 Rn 11 m.w.N.). Das hat sie nicht getan. Sie ist vielmehr links abgebogen, ohne die nach der Verkehrslage gebotene Reaktion zu zeigen und hat so den Zusammenstoß mit dem klägerischen Fahrzeug verursacht. Bei Einhaltung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt musste die Kl. die Signale des Einsatzfahrzeuges auch rechtzeitig wahrnehmen. Denn ein am normalen Straßenverkehr teilnehmender Kraftfahrer muss grds. Vorsorge treffen, dass er die von einem herannahenden Einsatzfahrzeug abgegebenen besonderen Warnsignale rechtzeitig wahrnehmen kann. Ein derart wahrnehmungsbereiter und aufmerksamer Verkehrsteilnehmer kann insb. das eingeschaltete Einsatzhorn mit seinem durchdringenden, besonders auffälligen Ton in der Regel schon von weitem hören (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1992, 1129).
3. Den Zeugen … als Fahrer des Rettungsdienstfahrzeuges trifft kein Mitverschulden an dem Unfall.
a) Ein Verstoß gegen ein Überholverbot nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO liegt nicht vor. Diese Vorschrift bestimmt ein Überholverbot bei unklarer Verkehrslage. Unklar ist die Verkehrslage, wenn nach allen objektiven Umständen – nicht nach dem Gefühl des Überholwilligen – mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf, etwa weil sich nicht verlässlich beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (vgl. Hentschel, a.a.O. § 5 StVO Rn 34 m.w.N.). Das ist nicht schon dann der Fall, wenn der Vorausfahrende – auch bei einer sich nähernden Einmündung von links – seine Geschwindigkeit stark herabsetzt (vgl. nur Kammer, Urt. v. 14.5.2010 – 13 S 11/10; Hinweisbeschl. v. 22.7.2010 – 13 S 70/10, jeweils m.w.N.). Unklar wird die Verkehrslage erst, sobald weitere besondere Umstände hinzutreten, wenn etwa der Vorausfahrende neben dem Einordnen zur Fahrbahnmitte auch den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt (vgl. Kammer, Urt. v. 14.5.2010 a.a.O.; Hentschel, a.a.O. Rn 35, jeweils m.w.N.). Davon ist hier auszugehen, denn die Erstbekl. hatte unstreitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und sich – wie auch der Fahrer des Rettungsdienstfahrzeuges bestätigt hat – zur Fahrbahnmitte eingeordnet. Damit lag eine unklare Verkehrslage vor, die unter normalen Umständen zu einem Überholverbot geführt hätte.
b) Das klägerische Fahrzeug gehörte jedoch – anders als die Berufung meint – zu den nach § 35 Abs. 5a StVO privilegierten Fahrzeugen und war insoweit von der Einhaltung des Überholverbots befreit.
aa) Nach § 35 Abs. 5a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes – auch Notarzteinsatzfahrzeuge privater Einrichtungen wie hier (vgl. BGHZ 118, 304, 306; Hentschel, a.a.O. § 38 StVO Rn 3; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 35 StVO Rn 9 m.w.N.) – von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nachgewiesen (zur Darlegungs- und Beweislast vgl. KG, VRS 100, 329 m.w.N.). Für die Beurteilung, ob es sich um e...