Der BGH hat in mehreren Entscheidungen die frühere Rechtsprechung, dass auch Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers den Rechtsschutz auslösen, relativiert und in seiner Entscheidung vom 25.2.2015 seine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben und klargestellt, dass es für die Festlegung des Versicherungsfalles allein auf die Tatsachen ankommt, mit denen der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründet. Tatsächliche oder vermeintliche Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers oder des versicherten Personenkreises haben außer Betracht zu bleiben.
I. Grundsatzurteil des BGH vom 28.9.2005
In dem Urt. v. 28.9.2005 ging es um die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Versicherungsfall (Leistungsverweigerung des Feuerversicherers) eingetreten war.
Der Feuerversicherer hatte gegenüber dem Versicherungsnehmer telefonisch seine Leistungspflicht verneint. Zu diesem Zeitpunkt war der Versicherungsnehmer noch nicht rechtsschutzversichert. Nach der früheren Rechtsprechung war durch diese telefonische Leistungsverweigerung der Versicherungsfall eingetreten, der Deckungsprozess war "vorprogrammiert".
Bei Eingang der schriftlichen Deckungsablehnung bestand eine Rechtsschutzversicherung, die in § 4 Abs. 2 ARB 2010 vereinbarte Wartezeit von drei Monaten war abgelaufen. Der Kläger stützte seine Klage auf diese schriftliche Deckungsablehnung; den Einwand des Rechtsschutzversicherers, dass der entscheidende erste Rechtsverstoß vorvertraglich war, ließ der BGH nicht gelten, da es allein auf den Sachvortrag ankomme, auf den das Klagebegehren gestützt werde.
II. Urteil des BGH vom 17.10.2007
In dem Urt. v. 17.10.2007 ging es um den Widerruf eines Darlehensvertrages. Der Widerruf wurde darauf gestützt, dass eine Widerrufsbelehrung gar nicht stattgefunden habe. Nach früherer Rechtsprechung wäre davon auszugehen, dass der Versicherungsfall die unterlassene Widerrufsbelehrung war. Der BGH hat jedoch auch in dieser Entscheidung darauf abgestellt, auf welchen Verstoß der Sparkasse die Klage gestützt wurde. Der Rechtsverstoß, welcher der Sparkasse angelastet wurde, wurde vom BGH darin gesehen, dass die Sparkasse die Widerrufsberechtigung bestritten habe. Dies sei der maßgebliche Verstoß, der im vorliegenden Fall in rechtsschutzversicherter Zeit lag.
III. Urteil des BGH vom 25.2.2015
Endgültige Klarheit hat das Urteil des BGH vom 25.2.2015 geschaffen. Der Kläger machte Ansprüche auf Erstattung von Krankheitskosten geltend; der Versicherer erklärte die Aufrechnung mit einer Schadenersatzforderung wegen Rezeptmanipulationen, die vor Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages begonnen hätten. Der BGH führt in dieser Entscheidung unmissverständlich aus, dass an der früheren Rechtsprechung nicht mehr festgehalten werde, auch Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers seien bei der Bestimmung des Versicherungsfalles zu berücksichtigen.
Entscheidend für die Auslegung von § 4 1 c ARB 2010 sei die Sichtweise des durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse. Ein Versicherungsnehmer entnehme dem Leistungsversprechen des Rechtsschutzversicherers, dass dieser es übernehme, die Wahrnehmung rechtlicher Interessen zu unterstützen. Deshalb kommt es für die Feststellung des Versicherungsfalles allein auf die Tatsachen an, mit denen der Versicherungsnehmer sein Rechtsschutzbegehren begründet.
IV. Fazit
Nach der vorgenannten Rechtsprechung des BGH hat es der Versicherungsnehmer selbst in der Hand, den Versicherungsfall und den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles selbst zu bestimmen. Entscheidend ist allein, auf welches tatsächliche oder vermeintliche Fehlverhalten des Anspruchsgegners der Versicherungsnehmer seinen Anspruch stützt.
Vorangegangene Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers selbst oder seines Anspruchsgegners kommen dann nicht mehr in Betracht.
Wenn aufgrund einer Konfliktsituation ein Rechtsstreit bereits "vorprogrammiert" ist, hat der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, noch schnell eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen und dann sein Klagebegehren darauf zu stützen, dass die Leistungsablehnung des Vertragspartners zu Unrecht erfolgt sei.
Einzige Schranke ist die Wartezeit von drei Monaten gemäß § 4 Abs. 1 ARB 2010.
Durch diese Rechtsprechung sind Zweckabschlüsse geradezu vorprogrammiert; ein Versicherungsnehmer kann Rechtsschutz dadurch bewirken, dass er erst nach Abschluss eines Rechtsschutzversicherungsvertrages und nach Ablauf der Wartefrist von drei Monaten seine Ansprüche beim Vertragspartner geltend macht. Dessen Leistungsablehnung gilt dann als "versicherter" Rechtsschutzfall. Diese Rechtsprechung hat elementare Bedeutung für den Vertragsrechtsschutz, insbesondere dann, wenn es im Vertragsverhältnis "kriselt":
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Ein Arbeitnehmer, der eine Abmahnung erhalten hat, sollte zügig eine Rechtsschutzversicherung mit Arbeitsrechtsschutz abschließen. Wenn dann die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der dreimon... |