[8] "… Auf die Kl. konnte nach § 116 Abs. 1 SGB X bzw. §§ 6 EFZG, 2 Abs. 1 Nr. 5 PostSVOrgG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung bereits kein Anspruch gegen die Bekl. auf Schadensersatz übergehen, da der Zeugin V ein solcher Anspruch gegen die Bekl. nicht aus §§ 7, 18, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, §§ 249, 823, 840 BGB, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG und auch sonst aus keiner Anspruchsgrundlage zusteht. Denn es ist von einer Alleinhaftung der Zeugin V für die Unfallfolgen auszugehen."
[9] Zunächst ist eine Verletzung der Gesundheit der Zeugin V bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs i.S.v. § 7 Abs. 1 StVG gegeben.
[10] Der Unfall stellt sich weiter weder für die Zeugin V noch für den Bekl. zu 1 als unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG dar. Unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ist ein Ereignis, das auch durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGH DAR 2005, 263; BGHZ 117, 337). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen persönlichen Maßstab hinaus (BGH DAR 2005, 263; NZV 91, 185), gemessen an den durchschnittlichen Verhaltensanforderungen ist das das Verhalten eines Idealfahrers (BGH NZV 1991, 185; 1992, 229). Weder die Zeugin V noch der Bekl. zu 1 können mangels einer entsprechenden Beweisführung für sich in Anspruch nehmen, sich auf ein etwaiges Fehlverhalten des jeweils anderen eingestellt zu haben. Beide Unfallbeteiligte haben nicht das Verhalten eines Idealfahrers an den Tag gelegt.
[11] Somit kommt es auf die Abwägung der Verursachung- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten, Zeugin V und Bekl. zu 1, unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren an, § 17 Abs. 2 StVG. Hierbei sind nach der st. Rspr. des BGH neben unstreitigen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Zulasten der Zeugin V ist dabei zunächst von einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO, insb. gegen ihre Pflicht zur doppelten Rückschau, § 9 Abs. 1 S. 4 StVO, auszugehen. Hierfür spricht – entgegen der Ansicht des LG – nach herrschender obergerichtlicher Rspr. der Beweis des ersten Anscheins. Denn kommt es im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem Fahrzeug, welches links überholt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Pflichten des Linksabbiegers aus § 9 Abs. 1 StVO und insb. für einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 20.3.2012 – 15 U 15/12; KG, Urt. v. 15.8.2005 – 12 U 41/05; KG, Urt. v. 6.12.2004 – 12 U 21/04; OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.12.2008 – 6 U 106/08; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 9 StVO Rn 55 m.w.N.). Danach hat derjenige, der links abbiegen will, vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; ein etwaiges Fahrzeug, das überholen will und das bei der Rückschau gesehen wird, ist hierbei vor dem Abbiegen durchzulassen (vgl. König a.a.O., § 9 StVO Rn 26, m.w.N.; OLG Frankfurt/M. VM 77, 46; OLG Düsseldorf VRS 64, 409).
[12] Die doppelte Rückschaupflicht entfällt nach § 9 Abs. 1 S. 4 a.E. StVO nur, wenn die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn ein Linksüberholen technisch unmöglich ist oder wenn dies besonders grob verkehrswidrig wäre und deshalb auch bei größter Sorgfalt nicht voraussehbar ist, oder bei Gewissheit, dass der nachfolgende Verkehr das Abbiegen nach links erkannt hat (vgl. König, a.a.O., § 9 StVO Rn 25 m.w.N.). All dies ist vorliegend nicht der Fall. Es handelte sich um einen Unfall im normalen Straßenverkehr zur Tageszeit, bei dem eine sichere Gefährdung nachfolgenden Verkehrs schon in Anbetracht der Geräuschlosigkeit von Fahrzeugen und ihrer Geschwindigkeit per se nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. König, a.a.O., § 9 StVO Rn 25).
[13] Der gegen die Zeugin V sprechende Beweis des ersten Anscheins ist auch nicht erschüttert. Der Anscheinsbeweis kann nur durch bewiesene Tatsachen ausgeräumt werden, welche die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als den nach der allgemeinen Erfahrung typischen ergeben können (BGH VersR 1969, 859, 860; BGH NJW 1982, 2268). Derartige, zur Widerlegung des Anscheinsbeweises dienende Tatsachen, aus denen sich zwingend ergibt, dass sich die Zeugin V bei dem Abbiegevorgang so sorgfältig verhalten hat, wie das geboten war, hat die Kl. nicht nachgewiesen. Ebenso wenig hat sie nachweisen können, dass der Bekl. zu 1 unfallverhütend hätte reagieren können und sich nicht verkehrsrichtig verhalten hat.
[14] Zunächst kann der – unstreitige – Überholvorgang des Bekl. zu 1 als solcher die “Typizität‘ der Anscheinsbeweislage nicht beeinträchtigen. Zulässiges und verkehrsgerechtes Überholen stellt – ebenso wie beispielsweise der bevorrechtigte Gegenverkehr – eine Grundvoraussetzung dafür dar, dass sorgfaltswidriges Abbiegen überhaupt zu einem Unfall, dann allerdings mit einer entsprechenden Anscheinsbeweislage führt (vg...