Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 26.01.2016; Aktenzeichen 4 O 1338/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Gera vom 26.01.2016, Az. 4 O 1338/14, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht und Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für zukünftig resultierende Schäden aus einem Unfallereignis vom 28.11.2011 auf der Bundesstraße B. aus Richtung G in Richtung W, bei dem die Zeugin V in Ausübung ihrer Beschäftigung als Postzustellerin der ... AG mit dem von ihr geführten Dienstfahrzeug VW Caddy mit dem amtlichen Kennzeichen ... mit dem vom Beklagten zu 1 geführten Kleintransporter DaimlerChrysler, amtliches Kennzeichen ..., kollidierte, als sie nach links in Richtung K abbiegen wollte und vom Beklagten zu 1 links überholt wurde.
Das LG hat nach Beweisaufnahme unter Zugrundelegung der auch von der Klägerin angenommenen Haftungsquote von 50 % der Klage im Wesentlichen stattgegeben.
Die Beklagten wenden sich mit der Berufung gegen die Haftungsquote sowie gegen den Umstand, dass das LG keinen Abzug ersparter Eigenaufwendungen vorgenommen hat. Sie sind der Ansicht, dass vorliegend der Beweis des ersten Anscheins dafür spreche, dass die Zeugin V ihre Pflichten beim Linksabbiegen verletzt habe, was zu einer Alleinhaftung dieser für die Unfallfolgen führe und verfolgen ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.
II. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
Auf die Klägerin konnte nach § 116 Abs. 1 SGB X bzw. §§ 6 EFZG, 2 Abs. 1 Nr. 5 PostSVOrgG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung bereits kein Anspruch gegen die Beklagten auf Schadensersatz übergehen, da der Zeugin V ein solcher Anspruch gegen die Beklagten nicht aus §§ 7, 18, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, 249, 823, 840 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG und auch sonst aus keiner Anspruchsgrundlage zusteht. Denn es ist von einer Alleinhaftung der Zeugin V für die Unfallfolgen auszugehen.
Zunächst ist eine Verletzung der Gesundheit der Zeugin V bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § 7 Absatz 1 StVG gegeben.
Der Unfall stellt sich weiter weder für die Zeugin V noch für den Beklagten zu 1 als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG dar. Unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 S. 1 StVG ist ein Ereignis, das auch durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (BGH DAR 05, 263; BGHZ 117, 337). Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen persönlichen Maßstab hinaus (BGH DAR 05, 263; NZV 91, 185), gemessen an den durchschnittlichen Verhaltensanforderungen ist das das Verhalten eines Idealfahrers (BGH NZV 1991, 185; 1992, 229). Weder die Zeugin V noch der Beklagte zu 1 können mangels einer entsprechenden Beweisführung für sich in Anspruch nehmen, sich auf ein etwaiges Fehlverhalten des jeweils anderen eingestellt zu haben. Beide Unfallbeteiligte haben nicht das Verhalten eines Idealfahrer an den Tag gelegt.
Somit kommt es auf die Abwägung der Verursachung- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten, Zeugin V und Beklagter zu 1, unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren an, § 17 Abs. 2 StVG. Hierbei sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neben unstreitigen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen.
Zulasten der Zeugin V ist dabei zunächst von einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO, insbesondere gegen ihre Pflicht zur doppelten Rückschau, § 9 Abs. 1 S. 4 StVO, auszugehen. Hierfür spricht - entgegen der Ansicht des LG - nach herrschender obergerichtlicher Rechtsprechung der Beweis des ersten Anscheins. Denn kommt es im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem Fahrzeug, welches links überholt, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Pflichten des Linksabbiegers aus § 9 Abs. 1 StVO und insbesondere für einen Verstoß gegen die doppelte Rückschaupflicht (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 20.03.2012, Az. 15 U 15/12; KG Urt. v. 15.08.2005, Az. 12 U 41/05; KG Urt. v. 06.12.2004, Az. 12 U 21/04; OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 12.12.2008, Az. 6 U 106/08; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 9 StVO Rn. 55 m.w.N.). Danach hat derjenige, der links abbiegen will, vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten; ein etwaiges Fahrzeug, das überholen will und das bei der Rückschau gesehen wird, ist hierbei vor dem Abbiegen durchzulassen (vgl. König a.a.O., § 9 StVO Rn. 26, m.w.N.; OLG Frankfurt/M. VM 77, 46; OLG Düsseldorf VRS 64, 409).
Die doppelte Rückschaupflicht entfällt nach § 9 Abs. 1 S. 4 a.E. StVO nur, wenn die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dies ist je...