A. Einführung
Die rechtliche Bewertung, welches Konkurrenzverhältnis (§§ 19 ff. OWiG) zwischen mehreren Verhaltensweisen anzunehmen ist, hat für den Betroffenen erhebliche Konsequenzen und entscheidet darüber, ob sein Handeln oder Unterlassen unter Umständen mehrfach geahndet werden darf. Rechtsprechung und Literatur befassen sich nahezu fortlaufend mit dieser Problematik.
Oftmals wird im Rahmen der Verteidigung in Bußgeld- oder Strafverfahren die Bedeutung dieser Frage bedauerlicherweise unterschätzt, der folgende Beitrag soll jedoch aufzeigen, wie praktisch bedeutsam der Tatbegriff für den Betroffenen sein kann und in welchen Fällen zugunsten des Betroffenen Verfahrenshindernisse anzunehmen sind. Darüber hinaus wird anhand konkreter Fälle dargestellt, wie der Tatbegriff bei wiederholten Verstößen des Halters oder Verantwortlichen beurteilt wird und welche Folgen sich bei einem zeitlichen Zusammentreffen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergeben. Ferner soll aktuelle Rechtsprechung hierzu vorgestellt werden.
B. Rechtliche Grundlagen
I. Materiell-rechtlicher Tatbegriff
§ 19 Abs. 1 OWiG bestimmt, dass nur eine einzige Geldbuße festgesetzt wird, wenn dieselbe Handlung mehrere Gesetze verletzt. In Abs. 2 heißt es dann weiter, dass die Geldbuße nach dem Gesetz bestimmt wird, das die höchste Geldbuße androht. Tatmehrheit liegt dagegen vor, wenn der oder die Betroffene durch mehrere rechtlich selbstständige Handlungen mehrere Bußgeldvorschriften oder eine Bußgeldvorschrift mehrmals verletzt hat. § 20 OWiG bestimmt demgegenüber, dass jede Geldbuße gesondert festgesetzt wird, wenn mehrere Geldbußen verwirkt sind.
Bei Tateinheit wird nur eine Geldbuße festgesetzt. Nach § 19 Abs. 2 OWiG ist die zu verhängende Geldbuße bei Verkehrsordnungswidrigkeiten dem eröffneten Bußgeldrahmen zu entnehmen. Bei der konkreten Bußgeldbemessung ist von der höchsten Geldbuße der tateinheitlich begangenen Verfehlungen auszugehen, die den Schwerpunkt des Vorwurfs bildete. Exemplarisch ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung und einer Verletzung der Gurtpflicht also gem. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 zu Nr. 11 des Bußgeldkatalogs von der vorgesehenen Regelbuße von 160 EUR auszugehen, § 3 Abs. 5 S. 1 BKatV. Dieser höchste Regelsatz kann, muss nicht, angemessen erhöht werden, § 3 Abs. 5 S. 2 BKatV.
Wohl auch unter dem Gesichtspunkt, dass man den Bußgeldbehörden die Bildung von Gesamtstrafen nach §§ 53, 54 StGB (Asperationsprinzip) nicht zutraut, wird bei Tatmehrheit im Ordnungswidrigkeitenrecht jede Geldbuße gesondert festgesetzt, d.h. diese bleiben unabhängig nebeneinander stehen. Es gilt das Kumulationsprinzip. Zwar können die Geldbußen in einem Bußgeldbescheid verhängt werden, sie sind aber dann getrennt anzugeben. Auch im Urteilstenor dürfen die Geldbußen nicht addiert werden, etwa zu einer "Gesamtgeldbuße".
II. Prozessualer Tatbegriff
Hiervon zu unterscheiden ist der prozessuale Tatbegriff. Er bezeichne ein konkretes Geschehen, das einen einheitlichen geschichtlichen Vorgang bildet und Merkmale enthält, die es von denkbaren anderen ähnlichen oder gleichartigen Vorkommnissen unterscheidet und umfasse das gesamte Verhalten des Täters, soweit dieses nach der natürlichen Auffassung des Lebens eine Einheit bildet.
Die Handlungen müssten dabei nach dem Ereignisablauf zeitlich, räumlich und innerlich so miteinander verknüpft sein, dass sich ihre getrennte Würdigung und Ahndung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs darstellen würde, §§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO. Trotz der Eigenständigkeit des Tatbegriffs korrespondiert eine prozessuale Tat mit der Idealkonkurrenz i.S.v. § 19 OWiG.
C. Mehrere Ordnungswidrigkeiten während einer Fahrt
Die meisten Entscheidungen zum Tatbegriff im Bußgeldverfahren findet man zu folgendem Fall: Wird dem Betroffenen vorgeworfen, mehrere Ordnungswidrigkeiten während einer Fahrt begangen zu haben, und legt die Bußgeldstelle zwei Aktenzeichen und damit getrennte Verfahren an, so ist zu prüfen, ob es sich dennoch nur um eine Tat im prozessualen Sinne handelt, und Tateinheit zwischen den Ordnungswidrigkeiten besteht, für die nur auf eine Geldbuße erkannt werden darf.
Bei mehreren Geschwindigkeitsübertretungen auch im Verlaufe einer nicht unterbrochenen Fahrt handelt es sich allerdings regelmäßig um mehrere Taten sowohl im materiellen als auch im prozessualen Sinne. Der Umstand, dass die Verstöße während derselben Fahrt begangen wurden, soll nichts daran ändern, dass das Fahren als solches keine rechtliche Klammer zu den einzelnen Verhaltensweisen im Straßenverkehr bildet.
Eine einzige Tat – materiell und prozessual – im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit ist dagegen lediglich dann anzunehmen, wenn erhebliche Verhaltensweisen durch einen derart unmittelbaren zeitlich-räumlichen und inneren Zusammenhang gekennzeichnet sind, dass sich der gesamte Vorgang bei natürlicher Betrachtungsweise...