“ … Die von der Bekl. vorgenommene rückwirkende Vertragsanpassung in Form der Einführung eines Risikoausschlusses ist unwirksam, weil die Bekl. die Kl. bei Antragstellung nicht auf die Rechtsfolgen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Bekl. ist auch verpflichtet, im bedingungsgemäßen Umfang Kostenerstattung für eine kieferorthopädische Behandlung der Tochter der Kl. gem. KFO-Plan v. 2.10.2010 zu übernehmen, weil der Versicherungsfall während der Vertragslaufzeit eingetreten ist und somit keine Vorvertraglichkeit vorliegt.

1. Die Bekl. war nicht berechtigt, gem. § 19 Abs. 4 S. 2 VVG eine Anpassung des geschlossenen Krankenversicherungsvertrags in Form der rückwirkenden Einführung eines Risikoausschlusses vorzunehmen, weil sie die Kl. bei Antragstellung nicht auf die Folgen einer Anzeigeverletzung hingewiesen hat, sodass ihr die Rechte nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG nicht zustehen, § 19 Abs. 5 S. 1 VVG. Das VVG 2008 und damit auch dessen § 19 findet auf den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag Anwendung, weil der Vertrag im Jahre 2008 geschlossen worden ist. Die Ausnahmen, die Art. 1 EGVVG für die Fortgeltung des alten Rechts vorsieht, greifen nicht ein. Aus der Geltung des VVG 2008 folgt, dass der VR gem. § 19 Abs. 5 S. 1 VVG die aus einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht folgenden Rechte nur geltend machen kann, wenn er bei Antragstellung durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Dieser Hinweis ist unstreitig nicht erfolgt, weil das von der Bekl. noch am 30.12.2007 verwendete Antragsformular keine Belehrung vorsieht und die Bekl. die Kl. vor Annahme des Antrags auch nicht mehr über die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung belehrt hat. Entgegen der Auffassung der Bekl. war der Hinweis nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nicht deswegen entbehrlich, weil der Antrag noch im Jahre 2007, mithin unter Geltung des alten VVG, gestellt worden ist. Diese Auffassung wird allerdings vertreten mit der Begründung, dass das neue VVG bei Antragstellung noch nicht galt und die vom VVG 2008 vorgegebene Belehrung sinnvollerweise nicht nachgeholt werden könne, da der VN mit einem solchen nachträglichen Hinweis nicht mehr zur Erfüllung seiner Anzeigepflicht angehalten werden könne (Marlow/Spuhl, Das neue VVG kompakt, 4. Aufl., Rn 226; Härle, in: Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar VVG, 2. Aufl., § 19 Rn 152). Diese Auffassung überzeugt nicht. Die Risikoprüfung des VR, als deren Bestandteil die Beantwortung der Risikofragen durch den VN zu betrachten ist, war bei Inkrafttreten des VVG 2008 noch nicht abgeschlossen. Dem VR wäre es vor Annahme des Antrags im Jahre 2008 möglich gewesen, die Belehrung nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG nachzuholen, nachdem er erkannt hatte, dass die Annahme des Antrags zur Anwendbarkeit des VVG 2008 führen musste. Die Bekl. hätte die Kl. ohne weiteres darauf hinweisen können, dass nunmehr ein anderes Gesetz gilt als bei Antragstellung und dass sie, die Bekl., nunmehr gezwungen war, auf die Rechtsfolgen einer Anzeigepflichtverletzung hinzuweisen, wenn sie die Rechte nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG in Anspruch nehmen wollte. Nach Auffassung des Gerichts wäre damit der Bekl. weder etwas Unzumutbares abverlangt noch eine Überforderung auferlegt worden, da die in der Übergangsphase zwischen Geltung des alten und des neuen VVG angebahnten Verträge nicht so zahlreich gewesen sein dürften, dass der VR in diesen Fällen nicht noch einen nachträglichen Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung hätte geben können, wenn er denn diesen Hinweis nicht ohnehin schon im Antragsformular vorgesehen hat, weil absehbar war, dass der Vertrag nur unter Geltung des VVG 2008 zustande kommen würde (vgl. Tschersich, r+s 2012, 53, 55). Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass sich die Bekl. im Antragsformular den Empfang der Verbraucherinformationen Januar 2008 sowie der AVB 2008 hat bestätigen lassen. Dieser Hinweis auf die bereits auf das VVG 2008 abgestimmten Vertragsunterlagen weist das Bewusstsein der Bekl. aus, dass sie mit dem Zustandekommen des Vertrags die Vorschriften des VVG 2008 einzuhalten hatte. Wenn sie unter diesen Umständen davon abgesehen hat, die nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG vorgeschriebene Belehrung über die Folgen der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht dem Antrag beizufügen, war sie zumindest gehalten, die Kl. vor Annahme des Antrags über diese Rechtsfolgen aufzuklären, damit die Kl. ggf. unzutreffende Angaben korrigieren konnte. Eine in den Verbraucherinformationen, AVB, enthaltene Belehrung genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht (OLG Hamm VersR 2011, 469).

Da die Bekl. mithin bereits wegen Fehlens des nach § 19 Abs. 5 S. 1 VVG erforderlichen Hinweises nicht berechtigt war, eine Vertragsanpassung zu verlangen, bedarf es keiner Entscheidung, ob die Kl. mindestens fahrlässig ihre Anzeigepflicht deswegen verletzt hat, weil sie eine Zahnfe...

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