" … II. 1. Die gegen dieses Urt. gerichtete, gem. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG Rechtsbeschwerde des Betr. ist zulässig, mit der er eine Verfahrensrüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und die allgemeine Sachrüge erhoben hat, die keiner Entscheidung bedarf. Denn das Rechtsmittel hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg."
a.) Die Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen des fehlenden rechtlichen Hinweises des Gerichts an den Betr., dass auch eine vorsätzliche Begehungsweise in Betracht kommt, ist zulässig, weil sie den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3 S. 3 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO entspricht. Die Rüge hat den geltend gemachten Verfahrensmangel – hier die Hinweispflicht des Gerichts nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 265 Abs. 1 StPO – so genau bezeichnet, dass das Rechtsbeschwerdegericht ohne Rückgriff auf die Akten prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt.
Nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers ergibt sich folgender Verfahrensablauf: Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung beraumte die zuständige Richterin eine Termin zur Hauptverhandlung für den 26.8.2015 an und verfügte, dass der Ladung an den Betr. und dem Verteidiger folgender Zusatz beizufügen ist:
“Es wird gemäß § 265 StPO darauf hingewiesen, dass bei der gemessenen Geschwindigkeitsüberschreitung von über 50 % auch eine Ahndung als vorsätzliche Ordnungswidrigkeit in Betracht kommt. Die Buße könnte also ggf. deutlich erhöht werden.’ Des Weiteren ordnete sie die Ladung von zwei Zeugen an. Die Verfügung der Richterin wurde nicht ordnungsgemäß ausgeführt. Der Ladung des Betr. und des Verteidigers fehlte der förmliche Hinweis auf eine Ahndung wegen Vorsatzes. Auch zu einem späteren Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens erfolgte ein solcher rechtlicher Hinweis nicht.
b.) Die Verfahrensrüge ist auch begründet, weil es dem Betr. gelungen ist, das von ihm behauptete Verfahrensgeschehen zu beweisen. Die eingeholten dienstlichen Stellungnahmen der Richterin und der Justizbeschäftigten ergaben nicht das Gegenteil. Vielmehr wurde der Vortrag des Betr. im Grundsatz bestätigt.
Hat das Gericht seiner Entscheidung eine vom Bußgeldbescheid abweichende rechtliche Beurteilung der Ordnungswidrigkeit – wie im vorliegenden Fall – zugrunde gelegt, ist es erforderlich, dem Betr. während des gerichtlichen Verfahrens besonders auf die Veränderung dieses rechtlichen Gesichtspunktes nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO hinzuweisen, so dass er Gelegenheit hat, seine Verteidigung darauf einzustellen. Dies ist durch ein im Bereich des Gerichtes liegendes Missverständnis nicht geschehen. Der von der Richterin verfügte Zusatz ist versehentlich in die Ladung der beiden Zeugen aufgenommen worden, wie sich aus dem Vordruck StP 22 (Aktenvermerk bei Ladungen u.a. in Bußgeldsachen) ergibt. Entgegen der Auffassung der GenStA ist dieses Kanzleiversehen auch nicht durch die Akteneinsicht des Verteidigers geheilt worden. Denn Adressat dieses förmlichen Hinweises ist der Betr., der persönlich und individuell zu informieren ist (BGH NStZ 2013, 248). Es kann dahinstehen und muss hier nicht entschieden werden, ob die durch den Verteidiger genommene Akteneinsicht dieses Versäumnis kompensieren kann, wenn der Verteidiger als schriftlich Bevollmächtigter für den vom persönlichen Erscheinen entbundenen Betr. auftritt. Denn der Betr. hat an der Hauptverhandlung teilgenommen.
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urt. auf diesem Rechtsfehler beruht. Der Rechtsmittelführer hat nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich im Falle eines rechtlichen Hinweises des Gerichts, dass auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht kommt, anders verteidigt hätte. Er hätte den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 29.4.2015 zurückgenommen. Daher war das Urt. mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an das AG Tiergarten zurückzuverweisen.“