Leitsatz
Das OLG Frankfurt hatte sich mit einem Fall auseinanderzusetzen, bei dem die Klägerin die Beklagten als damalige Geschäftsführer einer liquidierten GmbH persönlich für Leistungen in Anspruch genommen hatte, welche sie aufgrund von Verträgen mit der GmbH erbracht hatte. Die Klägerin hatte vorgetragen, die ehemaligen Geschäftsführer seien ihrer Insolvenzantragspflicht (damals noch Konkursantragspflicht) nicht rechtzeitig nachgekommen. Wäre ein Insolvenzantrag rechtzeitig gestellt worden, hätte die Klägerin weitere Aufträge der GmbH nicht mehr angenommen und ausgeführt. Das OLG Frankfurt am Main gab ihnen dem Grunde nach Recht.
Hinweis
Gem. § 64 Abs. 1 GmbHG trifft den Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft unverzüglich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Eine zur Stellung des Insolvenzantrages verpflichtende Überschuldung liegt dann vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, wobei für die Bewertung des Vermögens des Schuldners die Fortführung zugrunde zu legen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist, § 19 Abs. 2 InsO. Es kommt allein auf das Ergebnis der Überschuldungsbilanz an, das - je nach der Wahrscheinlichkeit der Unternehmensfortführung - unterschiedlich zu ermitteln ist. Ist bereits das Ergebnis der Überschuldungsbilanz zu Fortführungswerten negativ, besteht Insolvenzantragspflicht trotz positiver Fortbestehensprognose. Die Antragspflicht entfiele dann nur, wenn eine zusätzlich aufgestellte Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten die Deckung aller Verbindlichkeiten ergäbe, denn in einem solchen Fall könnten alle Gläubiger befriedigt werden.
Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht sind die Gesellschafter der Gesellschaft gem. § 64 Abs. 2 GmbHG zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden.
§ 64 Abs. 1 GmbHG ist Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB. Gesellschaftsgläubiger haben daher gegenüber den Geschäftsführern Anspruch auf Ersatz ihrer durch eine verspätete Insolvenzantragstellung eingetretenen Schäden.
Für den vorliegenden Fall stellte das OLG Frankfurt am Main zunächst klar, dass das Landgericht in der Vorinstanz zu Unrecht die Frage der Pflichtverletzung der Beklagten lediglich unter dem Aspekt der Zahlungsunfähigkeit betrachtet und diese verneint hatte. Es hätte auch untersuchen müssen, ob die Beklagten aufgrund einer Überschuldung der GmbH zur Insolvenzantragstellung verpflichtet gewesen wären. Das OLG Frankfurt stellte fest, dass ausweislich der Bilanz für das Jahr 1994 auch für den entscheidenden Zeitpunkt im Jahre 1995 hinreichende Hinweise darauf vorlagen, dass die GmbH überschuldet gewesen sein könnte. Dies habe bereits die Pflicht der Beklagten ausgelöst, unverzüglich einen Überschuldungsstatus aufzustellen. Das OLG Frankfurt ging davon aus, dass sich daraus tatsächlich eine Überschuldung der GmbH ergeben hätte. Grundsätzlich war es zwar Pflicht der Klägerin, Beweis über die objektiven Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht zu erbringen. Vorliegend griff aber insofern eine Ausnahme, weil es die Beklagten zu vertreten hatten, dass die Klägerin diesen Beweis nicht mehr führen konnte. Die Beklagten konnten nämlich insbesondere nicht einen Jahresabschluss 1995 sowie die Finanzbuchhaltungsunterlagen der Jahre 1994 und 1995 vorlegen. Damit verstießen die Beklagten bereits gegen ihre Pflichten aus § 42 und § 74 Abs. 2 GmbHG. Sie vereitelten zumindest fahrlässig eine Beweisführung der Klägerin, indem sie eine Bilanz 1995 pflichtwidrig gar nicht erst erstellten und im Übrigen die Verfügbarkeit der weiteren Beweismittel nicht sicherstellten. Dies hatte rechtlich zur Folge, dass es Sache der Beklagten war, diejenigen Tatsachen darzulegen und erforderlichenfalls auch zu beweisen, welche die Feststellung zuließen, dass eine Insolvenzantragspflicht zu dem entscheidenden Zeitpunkt im Frühjahr 1995 noch nicht bestand. Derartige konkrete Tatsachen brachten die Beklagten aber nicht vor. Deshalb wurden sie gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG zur Zahlung von Schadensersatz an die Klägerin verurteilt. Zu beachten ist, dass der Schadensersatz gem. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m § 64 Abs. 1 GmbHG auf das negative Interesse gerichtet ist. In dem von dem OLG Frankfurt am Main entschiedenen Falle hatte dies zur Folge, dass der Schadensersatz letztlich recht gering ausfiel. Grund hierfür war, dass nach der Überzeugung des Gerichts ein rechtzeitig gestellter Insolvenzantrag nicht nur dazu geführt hätte, dass die Klägerin keine weiteren Aufträge der GmbH mehr angenommen und dadurch Aufwendungen in einer bestimmten Höhe erspart hätte. Vielmehr hätte sie dann auch keine weiteren Zahlungen der GmbH auf die Altschulden des Jahres 1994 mehr erhalten.
Link zur Entscheidung
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.11.2005, 22 U 97/02