Leitsatz
Nach wirtschaftlicher Neugründung einer zunächst als Vorratsgesellschaft gegründeten GmbH schulden die Gesellschafter nicht etwa die erneute Leistung der nicht mehr vorhandenen Stammeinlage. Sie können vielmehr nach den Grundsätzen der sog. Unterbilanzhaftung in Anspruch genommen werden.
Sachverhalt
Eine GmbH kann als sogenannte Vorratsgesellschaft gegründet werden. Hierbei handelt es sich um eine GmbH, die zunächst überhaupt keiner wirtschaftlichen Betätigung nachgehen, sondern nur als eine Art leere Hülle bestehen soll. Auch ohne tatsächlichen Geschäftsbetrieb ist eine solche GmbH rechtlich bereits voll existent. Es handelt sich um eine Gesellschaft "auf Vorrat", die bei nächst bester Gelegenheit verkauft und dann erst verwendet / aktiviert werden soll.
Weil im Bedarfsfall schnell auf sie zurückgegriffen werden kann, ermöglichen Vorratsgesellschaften beispielsweise den raschen Start eines Unternehmensvorhabens nach einem Unternehmenskauf, sei es ein Share oder Asset Deal oder im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierungsmaßnahmen zur Verfügung.
Wird eine als Vorratsgesellschaft gegründete GmbH aktiviert und tatsächlich mit einem Unternehmen ausgestattet, so spricht man von einer "wirtschaftlichen Neugründung". Die wirtschaftliche Neugründung ist bei der Handelsregisteranmeldung der mit der wirtschaftlichen Neugründung einhergehenden Satzungsänderung offenzulegen.
In einem vielbeachteten Urteil hat der BGH in diesem Frühjahr klargestellt, in welchem Umfang die Gesellschafter bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung haften (Urt. vom 06.03.2012, II ZR 56/10): Maßgeblich für den Haftungsumfang ist danach die Differenz zwischen dem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens, das zu dem Zeitpunkt bestand, als die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung getreten ist (durch die Aufnahme der Geschäftstätigkeit oder die unvollständige Handelsregisteranmeldung). Der Höhe nach ergibt sich bei unterbliebener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung damit kein Unterschied zur Haftung der Gesellschafter für den Fall, dass eine ordnungsgemäße Anzeige der wirtschaftlichen Neugründung tatsächlich erfolgt ist - allein: Der relevante Stichtag ist nicht derjenige der Offenlegung, weil es an ihr ja gerade fehlt, sondern eben derjenige an dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung getreten ist.
Entscheidung
In dem hier näher betrachteten Fall hatte der Käufer der Vorratsgesellschaft die ihm im Notartermin übergebene Barkasse von 25.000 EUR sogleich zur Begleichung des Kaufpreises an den Verkäufer zurückgegeben. Als die wirtschaftliche Neugründung ordnungsgemäß offengelegt wurde, war das Stammkapital deshalb nicht mehr vorhanden. Aus diesem Grund konnte der Insolvenzverwalter der inzwischen zahlungsunfähigen Gesellschaft den Käufer nach Maßgabe der zur Unterbilanzhaftung entwickelten Grundsätze in Anspruch nehmen. Der Käufer war allerdings selbst nicht leistungsfähig. Deshalb haftete schließlich der Verkäufer als sein Rechtsvorgänger (§ 22 GmbHG).
Hinweis
Das OLG Düsseldorf hat die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Unterbilanzhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung in dem hier näher betrachteten Urteil konsequent angewendet.
Bei der Aktivierung von Vorratsgesellschaften oder seit einiger Zeit nicht mehr tätiger Gesellschaften ist strikt auf die Einhaltung der hierfür von der Rechtsprechung vorgegebenen Formalitäten der sog. wirtschaftlichen Neugründung zu achten. Denn nur so kann eine - ggf. Jahre später eintretende - Haftung vermieden werden.
Link zur Entscheidung
OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2012, I-16 U 55/11