Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Einen Erstbeschluss voll ersetzender Zweitbeschluss
Zur Auslegung von Abstimmungswillenserklärungen
Gegen Grundsätze von Treu und Glauben verstoßende Stimmabgabe
Kein Stimmrechtsausschluss des Betroffenen nur bei Beschlussfassung auf "Vorbehalt der Einleitung rechtlicher Schritte gegen ihn" (hier: wegen Kellernutzung zu Wohnzwecken)
Normenkette
§ 133 BGB, § 242 BGB, § 23 Abs. 1, 4 WEG, § 25 Abs. 5 WEG
Kommentar
1. Stimmt ein kurzfristig nachfolgender Zweitbeschluss inhaltlich mit einem zuvor gefassten Erstbeschluss überein, verliert der Erstbeschluss seine Wirkung. Vorliegend wurde die volle Ersetzung des Erstbeschlusses durch den Zweitbeschluss dadurch besonders deutlich, dass die Folgeversammlung nur kurze Zeit nach der Erstversammlung stattfand (offensichtlich zum Zweck einer "Heilung" eines Formmangels der betreffenden Beschlussfassung in erster Versammlung). Die Ersetzungs- und Aufhebungswirkung entfällt auch nicht dadurch, dass ein Zweitbeschluss rechtskräftig für ungültig erklärt wird. Entgegen der Vermutung des § 139 BGB ist nämlich - wie hier - anzunehmen, dass der Erstbeschluss auf jeden Fall und unabhängig vom Schicksal des Zweitbeschlusses aufgehoben werden sollte (vgl. BGHZ 127, 99/101).
2. Die Auslegung von Willenserklärungen (damit auch Stimmabgaben) ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Dabei sind die Auslegungsgrundsätze nach herrschender Rechtsmeinung zu beachten (die in der Entscheidungsbegründung nochmals näher dargelegt wurden). Entscheidend ist der objektive Erklärungswert, wie er von einem Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu verstehen ist.
3. Die positive Stimmabgabe eines Eigentümers kann wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben ungültig sein (hier: Ungültigkeit bejaht nach dem aus § 242 BGB abgeleiteten Grundsatz eines "venire contra factum proprium", d.h. einem widersprüchlichen Verhalten gegenüber früherem Verhalten anderen Wohnungseigentümern gegenüber). Eine treuwidrige Stimmabgabe führt allerdings auf rechtzeitige Anfechtung hin nur dann zur Ungültigerklärung eines Eigentümerbeschlusses, wenn ohne diese (ungültige) Stimme keine Mehrheit erreicht worden wäre (Kausalität).
4. Fordern die Eigentümer mit Stimmenmehrheit einen anderen Eigentümer dazu auf, eine bestimmte Nutzung von Räumen (hier: Nutzung und Vermietung von Kellerräumen zu Wohnzwecken als Zweckentfremdung und Wertminderung der anderen Einheiten) zu unterlassen und behalten sie sich für den Fall, dass der Eigentümer dieser Aufforderung nicht nachkommt, rechtliche Schritte gegen ihn vor, so ist der betroffene Eigentümer dadurch nicht nach § 25 Abs. 5 WEG von der Abstimmung ausgeschlossen. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ist ein Wohnungseigentümer dann nicht stimmberechtigt, wenn die Beschlussfassung die Einleitung eines Rechtsstreits der anderen Eigentümer gegen ihn betrifft. Hier haben sich die restlichen Eigentümer im Beschluss allerdings nur rechtliche Schritte "vorbehalten", also noch nicht die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens beschlossen. Selbst bei weiter Auslegung des § 25 Abs. 5 WEG kann ein solcher Vorbehalt nicht einer Verfahrenseinleitung gleichgestellt werden.
5. Keine außergerichtliche Kostenerstattung bei Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren von DM 20.000,-.
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 25.03.1998, 2Z BR 152/97)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer