Ob ein Testament vorliegt, entscheidet Inhalt - nicht Bezeichnung

Geht aus einem eigenhändig unterschriebenen Schriftstück hervor, dass etwas vererbt werden soll, ist das eine testamentarische Verfügung. Es schadet nicht, wenn statt „Testament“ oder „letzter Wille“ etwas anderes in der Überschrift steht, z.B. „Vollmacht“, sofern Inhalt und äußere Umstände den Testierwillen erkennen lassen.

Im Jahr 2014 erlag eine von drei Schwestern ihrem Krebsleiden. Sie war weder verheiratet noch hinterließ sie Kinder. Nach ihrem Tod kam es zwischen einer der Schwestern und ihrer Nichte zu Meinungsverschiedenheiten über einen Teil des Erbes. Schuld war die zweideutige Formulierung der Überschrift in ihren letztwilligen Verfügungen.

Haupterbe im Wert von 190.000 EUR unstreitig per Testament verteilt

Zu Lebzeiten hatte die Verstorbene mehrere Schriftstücke ihren Nachlass betreffend aufgesetzt:

  • ein mit „Testament“ überschriebenes Schriftstück, datiert vom 7.6.2013,
  • zwei mit „Vollmacht“ überschriebene Schriftstücke, datiert vom 11.6.2013.

Unproblematisch und eindeutig war das „Testament“.  Es betraf das Haupterbe, das Elternhaus in Paderborn. Das hat sie ihren Schwestern je zur Hälfte vermacht, wie es auch die gesetzliche Erbfolge vorsieht. Nach dem Erbfall verkauften die Erbinnen das Haus und teilten den Erlös von 190.000 Euro hälftig untereinander auf.

64.000 EUR Barvermögen per „Vollmacht“ an Nichte vermacht?

Streitigkeiten entstanden über die anderen zwei Schriftstücke, die jeweils mit der Überschrift „Vollmacht“ versehen waren. Mit beiden Verfügungen begünstigte die Erblasserin die Tochter ihrer Schwester. Das Mädchen war auch ihr Patenkind. Mit einem der Schreiben erteilte sie ihr

  • Vollmacht, über ihren näher bezeichneten Bausparvertrag über ihren Tod hinaus zu verfügen und sich das Guthaben auszahlen zu lassen,
  • mit dem anderen erteilte sie ihr  Vollmacht, über sämtliches Vermögen, welches bei der Volksbank auf ihrem Girokonto und Ersparnissen (Sparbuch, Geldanlagen) besteht, über ihren Tod hinaus zu verfügen.

Ihre Sparbücher und Sparverträge hatte die Erblasserin in einer als „Vermögensaufstellung“ bezeichneten Liste aufgeführt. Das Guthaben bei der Volksbank belief sich auf knapp 60.000 EUR, der Bausparvertrag wies gut 4.000 EUR Kapital aus.

OLG Hamm spricht Nichte Barvermögen zu

Die Nichte beanspruchte diese Summe von rund 64.000 EUR aufgrund der Schriftstücke vom 11.6.2013 für sich. Die überlebende Tante hingegen meinte die Schriftstücke seien nur Vollmachten, keine Vermächtnisanordnungen, zahlte ihrer Nichte aber immerhin die Hälfte des Betrags aus. Wegen der anderen Hälfte i. H. v. knapp 32.000 EUR klagte die Nichte gegen die Tante vor dem LG Paderborn, das dem Zahlungsantrag stattgab. Dagegen konnte die zur Zahlung Verurteilte auch mit ihrer Berufung vor dem OLG Hamm nichts ausrichten. Das bestätigte zwar nicht den direkten Zahlungsanspruch, verurteilte sie jedoch dazu, der Abtretung dieses Gesamtbetrages gegenüber Bausparkasse und Volksbank zuzustimmen.

Falsche Bezeichnung egal, wenn formell und inhaltlich ein Testament vorliegt

Die Richter des OLG Hamm identifizierten die „Vollmacht“-Schreiben als Vermächtnisse der verstorbenen Tante zugunsten des Patenkindes (§ 1939 BGB). Formal genügten die Schriftstücke den Anforderungen eines Testaments.

  • Sie waren eigenhändig von der Erblasserin verfasst und unterschrieben.
  • Der ernsthafte Testierwille war erkennbar.

Dass die Nichte nach dem Tod der Tante das Geld nicht nur verwalten, sondern tatsächlich für sich verwenden sollte, ergab sich aus den Formulierungen der Schriftstücke („Guthaben auszahlen zu lassen“) und aus den weiteren Umständen.

So hatte z.B.

  • die Mutter des Mädchens von ihrer Schwester schon kurz nach ihrer Krebsdiagnose alle Bankvollmachten zur Verwaltung des Vermögens nach dem Tod erhalten (von anderer Schwester später widerrufen).
  • Außerdem hatte die Erblaqsserin kurz vor ihrem Tod nach Überzeugung der Richter geäußert: „Das ist für T., die kann sich dann mal freuen.“

Das tat die Bedachte dann auch nach dem rechtskräftigen Urteil des OLG Hamm.

(OLG Hamm, Urteil v. 11.5.2017, I-10 U 64/16, 10 U 64/16).

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