Anwalt darf Rat des Gerichts zur Rechtsmittelrücknahme nicht blind befolgen
Diese Erfahrung machte ein Anwalt vor dem BGH. Dessen Ex-Mandant forderte rund 55.000 € als Ersatz seines Interesses an dem aufgegebenen Erstprozess nebst Zinsen von ihm, weil er sein Einverständnis mit der Berufungsrücknahme infolge ungenügender Aufklärung über die Prozesslage erteilt habe.
Schwierige Prozesssituation
Zu der Situation war es gekommen, weil den Anwalt einen Tag vor der mündlichen Verhandlung ein Richter anrief und die Klagerücknahme wegen Aussichtslosigkeit empfahl.
- Erst eine Woche vorher waren zwei verspätete Schriftsätze der Gegenseite bei Gericht eingegangen, deren Beantwortung dem Anwalt aufgrund der Osterfeiertage nicht möglich war.
- Doch eine Verlegung des Termins lehnte das Gericht ebenfalls ab.
- Der Anwalt riet dem Mandanten daraufhin wegen des Prozessrisikos und der fehlenden Zeit zur Erwiderung auf die gegnerischen Schriftsätze zur Berufungsrücknahme.
Nur umfassende Aufklärung entlastet Anwalt
Den Berufungsanwalt trifft nach Ansicht der BGH-Richter die Pflicht, eine vom Gericht im Verlauf der Instanz vertretene Rechtsansicht im Interesse seines Mandanten zu überprüfen, selbst wenn sie durch Nachweise von Rechtsprechung und Schrifttum belegt ist.
„Eine solche Rechtsansicht erscheint dann nicht unvertretbar, kann aber trotzdem von Haus aus unrichtig oder überholt sein. Kommt ein solcher Fehler des Gerichts in Betracht, muss der Prozessanwalt die Möglichkeiten der Verfahrensordnung nutzen, um die zu Gunsten seines Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend zur Geltung zu bringen, wie die Umstände es zulassen“, fordert das Gericht von den Advokaten.
Der Schutz des Mandanten gebiete es, dass diese Tatsachen und Argumente bei der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden können. Unterbleibe eine solche Einwirkung auf das Gericht, weil der Mandant einer Rücknahme des Rechtsmittels zustimmt, so handele der Prozessanwalt nur dann pflichtmäßig, wenn er zuvor den Mandanten zutreffend über die verbleibenden Möglichkeiten aufgeklärt habe, in der Instanz oder durch ein Rechtsmittel den Prozess zu einem günstigeren Ende zu bringen. „Der Mandant muss gerade in einer solchen kritischen Lage die wägbaren Prozessaussichten beurteilen können.
Richtermeinung entlastet Anwalt nicht
Es entlastet den Rechtsanwalt in seiner Rechtsprüfung und Aufklärung des Mandanten auch nicht, dass ein mit drei Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Erfolgsaussicht des eingelegten Rechtsmittels nach einer Beratung verneint hat“, betonte das Gericht.
Keine Zeitnot seitens des Mandanten - Rechtliches Gehör muss durchgesetzt werden
Im vorliegenden Fall hätte der Anwalt nach den Ausführungen des Gerichts zunächst alles tun müssen, um das rechtliche Gehör seiner Partei zu schützen. „Die Schriftsätze der Gegenseite des Vorprozesses vom 23. und 24. März 2005 waren nach § 282 Abs. 2 ZPO verspätet.
Die Tage vom 25. März (Karfreitag) bis zum 28. März (Ostermontag) fielen für die Terminsvorbereitung des Klägers und Überprüfung des vorgelegten Zahlenmaterials in seinen Grundlagen, auf die substantiiert eingegangen werden musste, aus“.
Der Anwalt hätte die Zeitnot dem Mandanten nicht nur bedauernd mitteilen dürfen, sondern er hätte ihn darüber aufklären müssen, dass das Berufungsgericht in der Sache nicht entscheiden durfte, ohne ihm Gelegenheit zu geben, die Verspätung des gegnerischen Schriftsatzes zu rügen und sich inhaltlich mit ihm auseinanderzusetzen.
„Er hätte ihn belehren müssen, dass der Termin wahrgenommen und eine Vertagung oder ein Schriftsatznachlass beantragt werden könne. Auch hätte er ihm die insoweit bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten auseinandersetzen müssen“, zählte der BGH auf.
Diesem Pflichtengehalt sei der Anwalt unstreitig nicht gerecht geworden und so traf ihn die Haftung.
(BGH, Urteil vom 11. April 2013, IX ZR 94/10).
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