Der BGH stößt das Tor für Legal-Tech weit auf und erlaubt Online-Vertragsgenerator
Die hanseatische Rechtsanwaltskammer Hamburg hatte gegen das von einem juristischen Fachverlag angebotene Produkt eines elektronischen Generators zur Erstellung von Verträgen und sonstigen Rechtsdokumenten geklagt.
Rechtsgenerator „günstiger und schneller als der Anwalt“
Der Online-Generator „smartlaw“ richtet sich besonders an juristisch weniger versierte Verbraucher sowie kleinere Unternehmen und bietet diesen für die unterschiedlichsten Lebenslagen die Erstellung von cloudbasierten Rechtsdokumenten und Verträgen an. Der Verlag hatte das Produkt mit Werbeaussagen beworben wie:
Rechtsdokumente in Anwaltsqualität
Günstiger und schneller als der Anwalt
Generator erstellt Verträge und Rechtsdokumente
Zur Erstellung eines Vertrages auf den unterschiedlichen Rechtsgebieten muss sich der Verbraucher in einem Multiple-Choice-Verfahren zunächst durch einen Frage/Antwort-Katalog - in komplexen Fällen bis zu 40 Fragen - durcharbeiten. Hierauf kombiniert der Generator vorgegebene Textbausteine und liefert dem User auf diese Weise einen Textvorschlag für den beabsichtigten Vertrag bzw. für das gewünschte Rechtsdokument. Der User hat dabei die Möglichkeit, das von ihm gewünschte Rechtsdokument im Wege des Einzelkaufs zu erwerben oder im Rahmen eines Abonnements dauerhaft zum Abruf von Rechtsdokumenten berechtigt zu sein.
Hanseatische RAK klagte auf Unterlassung
Die Hanseatische RAK bewertete dieses Angebot für Verbraucher als eine verbotene Rechtsdienstleistung. Rechtsdienstleistungen dieser Art seien gemäß §§ 2, 3 RDG der Rechtsanwaltschaft vorbehalten. Die RAK klagte vor dem LG Köln zunächst erfolgreich sowohl auf Unterlassung der nach ihrer Auffassung wettbewerbswidrigen Bewerbung des Produkts als auch auf Unterlassung des Dienstleistungsangebots als solchem. Bereits im Berufungsverfahren hat der Verlag darauf die ursprünglichen Werbeaussagen zurückgezogen und geändert.
Das Online-Vertragstool ist keine verbotene Rechtsdienstleistung
Das OLG Köln bewertete den Sachverhalt anders als die Vorinstanz und wies die Klage der Rechtsanwaltskammer ab. Die Revision gegen das klageabweisende Urteil des OLG hat der BGH nun zurückgewiesen. Das Angebot eines Online-Dokumentengenerators zur Erstellung von Rechtsdokumenten ist nach der Bewertung beider Gerichte keine unlautere wettbewerbswidrige Handlung im Sinne des § 3a UWG. Unlauter wäre das Angebot nur, wenn das Vertragstool als verbotene Rechtsdienstleistung im Sinne von §§ 2 Abs. 1, 3 RDG zu qualifizieren wäre. Genau dies haben OLG und BGH aber verneint.
Begriff der Rechtsdienstleistung entscheidend
Ähnlich wie zuvor schon das OLG Köln, setzte sich der BGH in seiner Entscheidung ausführlich mit dem Begriff der Rechtsdienstleistung auseinander. Gemäß § 2 Abs. 1 RDG ist Rechtsdienstleistung
- jede Tätigkeit
- in konkreten fremden Angelegenheiten,
- sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert.
Generator entfaltet schon keine Tätigkeit
Nach der Bewertung des OLG Senats entfaltet der Generator schon keine Tätigkeit in einer konkreten fremden Angelegenheit, wie dies § 2 Abs. 1 RDG fordert. Eine Tätigkeit in diesem Sinne enthalte immer eine menschliche oder zumindest eine mitdenkende Aktivität. Der Generator bilde demgegenüber lediglich einen schematisch ablaufenden Subsumtionsvorgang ab, der nach einem vorgegebenen Raster aufgrund fest programmierter Ja/Nein-Entscheidungsstrukturen ablaufe.
Generator bietet keine echte Einzelfallprüfung
Mit ihrem Angebot wird die Beklagte nach der Entscheidung des BGH auch nicht in einer konkreten Angelegenheit des Nutzers tätig. Die Beklagte habe eine Software entwickelt, die eine möglichst hohe Vielzahl von typischen Sachverhaltskonstellationen berücksichtige. Für diese Sachverhaltskonstellationen stelle der Vertragsgenerator
- standardisierte Vertragsklauseln parat
- ähnlich einem mit vorgegebenen Textvorlagen arbeitenden Formularbuch.
- Besondere individuelle Ausprägungen eines Sachverhalts fänden in den erstellten Vertragsdokumenten keine Berücksichtigung.
- Dies werde den Usern auch hinreichend deutlich gemacht.
Der Dokumentengenerator erweitere lediglich das ohnehin für Verbraucher bestehende Hilfsangebot von Textversatzstücken im Internet und in Formularhandbüchern.
Generator verletzt nicht den Schutzzweck des RDG
Bei der Auslegung der §§ 2, 3 RDG ist nach Auffassung der Gerichte auch der Zweck des RDG zu berücksichtigen. Das RDG bezwecke den Schutz der Bevölkerung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen. Ein solcher Schutz sei aber nur da erforderlich, wo eine rechtliche Beratung im konkreten Einzelfall tatsächlich oder vorgeblich stattfinde. Bei einem schematisch als Folge eines Frage/Anwort-Katalogs erstellten Dokument wisse der User, dass das gefundene Ergebnis sowohl von der Qualität des Programms als auch von der Stimmigkeit seiner eigenen Auswahlentscheidungen abhängt. Ein besonderes Schutzbedürfnis des Rechtssuchenden bestehe in dieser Konstellation daher nicht.
Anwaltskammer sieht Grenze zur Rechtsberatung überschritten
Die klagende Anwaltskammer zeigt sich über die Entscheidung enttäuscht. Sie sieht einen großen Unterschied zu Formularbüchern insoweit, als der Nutzer eines Formularhandbuchs gezwungen sei, selbst zu entscheiden, zwischen welchen angebotenen Textbausteinen er wähle. „smartlaw“ arbeite genau umgekehrt und wähle nach Beantwortung der Einzelfragen selbst die passenden Textbausteine aus und stelle diese zu einem kompletten Rechtsdokument oder Vertrag zusammen. In ihrer Presseerklärung äußert die RAK die Befürchtung, dass der Schutz der Bevölkerung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen nach der Entscheidung des BGH leerläuft.
(OLG Köln, Urteil v. 19.6.2020, 6 U 263/19; BGH, Urteil v.9.9.2021, I ZR 113/20)
Hintergrund: BGH und Legal Tech
Schon in der Vergangenheit hat der BGH den Begriff der Rechtsdienstleistung im RDG eher großzügig ausgelegt. In einem Grundsatzurteil zur Legal-Tech-Plattform "wenigermiete.de" bewertete der BGH dieses Online-Angebot nicht als verbotene Rechtsberatung, sondern als von einer Inkasso-Lizenz gedeckt. Der BGH hat die gegen das Portal gerichtete Klage der RAK Berlin abgewiesen (BGH, Urteil v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18). Die Versuche der Rechtsanwaltskammern, sich gegen die Ausweitung des Marktes von Legal-Tech-Angeboten im Netz zu stemmen, waren bisher insgesamt wenig erfolgreich. Anders könnte sich die Sachlage allerdings darstellen, wenn Online-Vertragsgeneratoren nicht mehr rein schematisch, sondern mittels künstlicher Intelligenz (KI) agieren. Darauf hatte das OLG Köln in einer Nebenbemerkung in seiner Entscheidung zu „smartlaw“ ausdrücklich hingewiesen, die Antwort hierauf aber offen gelassen (OLG Köln, Urteil v. 19.6.2020, 6 U 263/19). Von Interesse dürfte daher sein, ob sich der BGH in den noch nicht vollständig veröffentlichten Urteilsgründen ebenfalls zum Problem der Abgrenzung von einer Online-Rechtberatung unter Zuhilfenahme von KI äußert.
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