BGH bestätigt die Rechtmäßigkeit der Plattform „Wenigermiete.de“
Legal-Tech ist grundsätzlich legal. So könnte man die Quintessenz der aktuellen Entscheidung des BGH zusammenfassen. Damit können Mieter auch in Zukunft auf Internetdienstleister wie „Wenigermiete.de“ zurückgreifen.
Geschäftsprinzip: Recht für Kunden ohne Kostenrisiko
„Wenigermiete.de“ ist eine Plattform des Berliner Unternehmens „Lexfox“, das Mietstreitigkeiten über zu hohe Mieten, Mietminderungen und Schönheitsreparaturen für die Mieter übernimmt.
- Mithilfe von Algorithmen sowie einem Mietpreisrechner kalkuliert die Plattform die Chancen bei der Durchsetzung solcher Ansprüche und
- fordert diese nach einer Abtretung durch die Kunden per Mausklick selbst ein.
- Das Unternehmen bemüht sich zunächst um eine einvernehmliche Regelung und
- erhebt bei deren Scheitern im eigenen Namen gerichtliche Klage.
- Kosten entstehen dem Kunden hierfür zunächst nicht. Das Unternehmen behält lediglich eine Provision in Höhe von einem Drittel der Forderung bei Erfolg ein.
Lexfox macht die Mieterrechte umfassend geltend
Im vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Wohnungsmieter aus Berlin die „Lexfox GmbH“ mit der Geltendmachung und Durchsetzung seiner Forderungen im Zusammenhang mit der sogenannten Mietpreisbremse nach § 556 d BGB beauftragt und diese an Lexfox abgetreten. Lexfox erteilte der beklagten Wohnungsgesellschaft wegen überhöhter Mietforderungen zunächst eine Rüge gemäß § 556 g Abs. 2 BGB und verklagte die Wohnungsgesellschaft anschließend auf Rückzahlung zu viel gezahlter Miete, auf Feststellung der maximal zulässigen Miethöhe sowie auf Zahlung der Rechtsverfolgungskosten.
Erfolg erst in der Revisionsinstanz
Nach erfolgloser Geltendmachung in der ersten und zweiten Instanz legte die Klägerin nun erfolgreich Revision beim BGH ein. Zunächst stellte der BGH fest, dass die Klägerin als Inkassodienstleister gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG ordnungsgemäß registriert ist. Die im konkreten Fall ihrem Kunden erbrachte Dienstleistung stellt sich nach der Bewertung des Senats als ordnungsgemäße Inkassodienstleistung im Rahmen des § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG dar.
Rechtsdienstleistungen nur bei ausdrücklicher Gestattung zulässig
Gemäß § 3 RDG sei die selbständige Erbringung außergerichtliche Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie ausdrücklich durch das RDG oder andere rechtliche Vorschriften erlaubt ist. Ein Verstoß führe regelmäßig gemäß § 134 BGB zur Nichtigkeit der getroffenen Inkassovereinbarung einschließlich einer vereinbarten Forderungsabtretung. Entscheidend komme es für die Beurteilung des vorliegenden Falles daher darauf an, ob die erbrachten Rechtsdienstleistungen gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG hier ausdrücklich gestattet seien. Diese Frage ist nach Auffassung des BGH hier eindeutig zu bejahen.
RDG bezweckt Liberalisierung der Rechtsdienstleistungen
Der Gesetzgeber habe mit dem im Jahr 2008 in Kraft getretenen RDG eine Neugestaltung des Rechts der außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen im Sinne einer Deregulierung und Liberalisierung verfolgt. Hierbei habe der Gesetzgeber sich an der Rechtsprechung des BVerfG orientiert, das bereits im Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz Inkassounternehmen grundsätzlich die umfassende und vollwertige substantielle Beratung des Rechtssuchenden innerhalb der ihm erteilten Inkassoerlaubnis zugestanden hatte (BVerfG, Beschluss v. 20.2.2002, 1 BvR 423/99; 821/00; 1412/01).
Inkassobegriff ist weit auszulegen
Eine Gefahr für die Rechtssuchenden und den Rechtsverkehr tritt nach Auffassung des BVerfG hierdurch nicht ein, da von Inkassounternehmen grundsätzlich eine profunde Sachkunde bei der Einziehung fremder Forderungen gefordert und diese Sachkenntnis auch behördlich überprüft werde.
Der Begriff der Inkassodienstleistungen darf nach Auffassung des BGH daher nicht in einem zu engen Sinne verstanden werden, wie dies bei einem Teil der Instanzgerichte noch der Fall sei. Vielmehr sei eine großzügige Betrachtung geboten, die im konkreten Fall dazu führt, dass die für den Mieter von der Klägerin erbrachte Tätigkeit als erlaubte Rechtsdienstleistung im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG anzusehen sei.
Der Online–Miethöhen-Rechner ist „noch“ zulässig
Diese Zulässigkeit gelte auch unter Berücksichtigung des Online-Mietpreisrechners, der den ordnungsgemäßen Mietpreis nach individueller Eingabe verschiedener Faktoren durch den Kunden errechnet. Die Errechnung des Mietpreises aufgrund individueller Eingaben sah der BGH - im Gegensatz zur Vorinstanz, die sich besonders an dem Online-Rechner störte - nicht als eine über die Inkassotätigkeit hinausgehende unerlaubte individuelle Rechtsberatungstätigkeit an.
Die Berechnung der zulässigen Miethöhe hänge nämlich mit der eigentlichen Inkassotätigkeit eng zusammen und sei deshalb insgesamt (noch!) als zulässige Inkassodienstleistung zu bewerten.
Inkassotätigkeit und Anwaltstätigkeit sind keine vergleichbaren Größen
Der BGH sah auch keinen Wertungswiderspruch zwischen den in einem vergleichbaren Fall für Rechtsanwälte geltenden strengeren berufsrechtlichen Vorschriften und den großzügigeren Vorgaben für eine Inkassotätigkeit.
Zwar hätte ein Rechtsanwalt im vorliegenden Fall mit seinem Mandanten im Falle einer Beauftragung kein Erfolgshonorar vereinbaren dürfen, jedoch sei ein Inkassounternehmen eben auch kein Organ der Rechtspflege.
Auch übe der Inkassodienstleister keine rechtsanwaltsähnliche Rechtsdienstleistung unterhalb der Rechtsanwaltschaft aus, so dass im Ergebnis ein direkter Vergleich zwischen Inkassodienstleister und Rechtsanwalt auch im Vergütungsbereich grundsätzlich nicht sachgerecht sei. Berufsrechtliche Pflichten der Rechtsanwaltschaft könnten daher nicht auf Inkassodienstleister übertragen werden.
BGH sieht keine Interessenkollision durch Kostenübernahme
Schließlich sah der BGH in der vereinbarten Kostenübernahme auch keine Interessenkollision zwischen dem Inkassodienstleister und den Interessen des Kunden, denn durch das vereinbarte Erfolgshonorar entstehe ein beträchtliches eigenes Interesse des Inkassounternehmens an einer möglichst erfolgreichen Durchsetzung der Ansprüche des Mieters und damit letztlich ein prinzipieller Gleichlauf der beiderseitigen Interessen.
Ergebnis: Legal-Tech ist keine verbotene Rechtsdienstleistung
Mangels eines Verstoßes gegen das RDG bewertete der BGH die zwischen dem Mieter und der Klägerin vereinbarte Forderungsabtretung im Gegensatz zur Vorinstanz nicht gemäß § 134 BGB als nichtig, sondern als wirksam. Demgemäß hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück. Das LG muss noch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zum Bestehen der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche treffen.
(BGH, Urteil v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18)
Hintergrund
Legal Tech erobert langsam aber sicher den Rechtsalltag. Online-Portale wie „Flugrecht.de“ , „Geblitzt.de“ oder „Helpcheck.de“ sind schnell, preiswert und verhelfen den Usern häufig auf effiziente Weise, zu ihrem Recht zu kommen, beispielsweise zu einer Entschädigung bei Flugverspätungen. Nach der US-Studie „LawGeex“ sollen Algorithmen in der juristischen Problemerkennung bis hin zu mittelschweren Fallkonstellationen deutlich besser und schneller sein als Anwälte.
Die neue Technik wirft aber auch viele Fragen auf. Ob eine Scheidungsmandantin ein gutes Gefühl hat, wenn ihr bei der Schilderung ihrer Eheprobleme nur eine Maschine zuhört, darf bezweifelt werden. Ein Schreckgespenst ist das auch für beachtliche Teile der freien Anwaltschaft: Legal-Tech - Der Algorithmus als Rechtsberater. Durch die Entscheidung des BGH ist das Tor hierzu ein Stück weiter aufgestoßen.
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