Nachts muss ein Anwalt nicht zum Gerichtstermin anreisen

In der Zeit zwischen 21 und 6 Uhr muss ein Anwalt - zumal ein älterer - nicht reisen, um am Morgen einen Gerichtstermin rechtzeitig wahrnehmen zu können. Reist er deshalb schon am Tag zuvor an, sind auch die Übernachtungskosten erstattungsfähige Prozesskosten. Das hat das OLG Naumburg entschieden.

In dem Fall musste ein über 70-jähriger Rechtsanwalt mehrere Gerichtstermine um 9 Uhr und 10 Uhr morgens beim Landgericht Halle wahrnehmen. Seine Kanzlei lag 335 Kilometer entfernt. Um die Gerichtstermine jeweils rechtzeitig wahrnehmen zu können, reiste er jeweils tags zuvor an und übernachtete in einem Hotel. Bei der späteren Kostenfestsetzung wollte das Landgericht Halle dem Anwalt nur 60 Euro statt der beantragten 405 Euro zugestehen. Das Landgericht Halle berief sich dabei auf den Google-Routenplaner, der für die einfache Strecke eine reine Fahrzeit von drei Stunden und sechs Minuten errechnete. Deshalb hätte der Anwalt sowohl die um 9 Uhr beginnenden Gerichtstermine als auch diejenigen, die auf 10 Uhr terminiert waren, rechtzeitig erreicht, wenn er jeweils morgens angereist wäre. 

Über 70-jähriger Anwalt kann 670 Kilometer an einem Tag fahren

Doch diese Sichtweise werde den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht gerecht, monierte das angerufene Oberlandesgericht Naumburg. Einem Anwalt könne nicht abverlangt werden, die in einer Rechtssache notwendig werdenden Reisen zur Nachtzeit durchzuführen. Als Nachtzeit sei die Zeit von 21 Uhr bis 6 Uhr anzusehen. Eine Anreise, bei welcher der Prozessbevollmächtigte seine Wohnung vor 6 Uhr morgens verlassen müsste, brauche dieser also nicht durchführen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, wenn er zum Terminbeginn um 10 Uhr oder gar um 9 Uhr im Gerichtsgebäude in Halle hätte anwesend sein wollen. Zwar ist laut Richterspruch ausweislich des Google-Routenplaners derzeit mit einer reinen Fahrtzeit von drei Stunden und sechs Minuten zu rechnen. Um allerdings möglichst rechtzeitig zu der Verhandlung zu erscheinen, müsse ein Rechtsanwalt einen ausreichenden zeitlichen Puffer bei der Reisezeit wegen unvorhergesehener Verzögerungen wie Staus u.ä. vorsehen.

Hinzu komme die Zeit einer angemessenen Fahrpause, dies auch eingedenk des Umstandes, dass der Prozessbevollmächtigte zum Zeitpunkt jener Termine schon weit älter als 70 Jahre war. Im vorliegenden Fall entscheidend sei aber, dass es auf der Autobahn wegen zahlreicher Baustellen regelmäßig Staus und damit erheblichen Verspätungen kam. Angesichts dessen ging das Gericht davon aus, dass der Rechtsanwalt seine Reise für einen Termin um 10 Uhr vorsorglich vor 6 Uhr hätte beginnen müssen. Insofern sprach das Gericht dem Anwalt zusätzlich 91,66 € Übernachtungskosten zu. Für die weiteren Termine, die unter anderem um 10.30 Uhr, 11 Uhr und später begannen, gelte das aber nicht. Hier, so die Naumburger Richter, standen dem Anwalt zumindest 4,5 Stunden ab 6 Uhr für eine ausreichend rechtzeitige Anreise nach Halle zur Verfügung. Eine Fahrstrecke von insgesamt 670 Kilometern an einem Tag, unterbrochen durch die Gerichtsverhandlung, hielt das Gericht auch nicht für unzumutbar.

(OLG Naumburg, Beschluss vom 8.6.2016, 12 W 36/16 (KfB))


Hintergrundinfo:

Der vor Gericht unterlegene Gegner muss im Rahmen der Kostenerstattung für die Anreise des gegnerischen Anwalts nur angemessene Kosten erstatten. Regelmäßig muss er nur das günstigste zumutbare Transportmittel bezahlen. Das gilt auch bei einer weiten Anreise und erfordert auch einmal ein etwas früheres Aufstehen als gewohnt. Ausnahmen bestehe, wenn der Anwalt andernfalls nicht rechtzeitig zum Termin hätte anreisen können oder die Art der Anreise unzumutbar wäre.