Aufklärungspflichten des Verkäufers bei M&A-Transaktionen
Sachverhalt
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich jüngst zur Frage geäußert, inwieweit ein Verkäufer potenzielle Käufer im Rahmen einer Transaktion über relevante Fakten des Kaufobjekts informieren und im Einzelfall gezielt auf Besonderheiten hinweisen muss. Die Karlsruher Richter entschieden, dass die alleinige Bereitstellung von Daten in einem Datenraum durch den Verkäufer im Einzelfall nicht ausreichend sein kann, um seiner vertraglichen Aufklärungspflicht nachzukommen. Die Entscheidung betraf zwar eine Immobilientransaktion, die daraus abgeleiteten Grundsätze zur Aufklärungspflicht des Verkäufers sind jedoch für alle Arten von Unternehmenstransaktionen relevant.
Im vorliegenden Fall hatte die Käuferin Gewerbeeinheiten innerhalb eines großen Gebäudekomplexes für ca. 1,5 Mio. Euro erworben. Im Nachgang der Transaktion sah sich die Käuferin mit Instandhaltungsmaßnahmen in erheblichem Umfang konfrontiert. Sie fühlte sich von der Verkäuferin arglistig getäuscht, da sie zu spät von diesen potenziell hohen Instandhaltungskosten für das gemeinschaftliche Eigentum erfahren und die Verkäuferin sie hierüber auch nicht explizit aufgeklärt habe.
Die geplanten Sanierungsarbeiten waren mit Kosten von bis zu 50 Mio. Euro verbunden. Da die vormalige Mehrheitseigentümerin sich weigerte zu zahlen, landete der Fall vor Gericht. Das dortige Verfahren endete schließlich mit einem Vergleich, wonach die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage zahlen sollten. In diese Verpflichtung trat die Käuferin als neue Eigentümer ein.
Zwar hatte die Verkäuferin das Protokoll einer wichtigen Eigentümerversammlung, in dem diese Instandhaltungsmaßnahmen thematisiert wurden, in den für die Transaktion eingerichteten virtuellen Datenraum eingestellt. Sie war daher der Auffassung hierdurch ihrer Aufklärungspflicht vollumfänglich nachgekommen zu sein. Aus Sicht der Käuferin geschah die Bereitstellung der Unterlagen jedoch "klammheimlich" und sei ihr förmlich "untergeschoben" worden. Denn das Einstellen des Protokolls in den Datenraum erfolgte an einem Freitag. Dieser Tag war der letzte Arbeitstag vor der geplanten Beurkundung des Kaufvertrages, welche am darauffolgenden Montag stattfand. Das Einstellen erfolgte ohne zusätzlichen Hinweis durch die Verkäuferin (bspw. durch eine zusätzliche E-Mail oder einen automatisierten "Alert" eines Datenraumproviders).
Entscheidung
Das Oberlandesgericht Celle vertrat die Auffassung, dass die Hauptverantwortung für die Beschaffung aller erforderlichen Informationen vor Vertragsabschluss der Käuferin zugeschrieben sei. Diese sei im konkreten Fall den Hinweisen auf mögliche Instandhaltungskosten nicht ausreichend nachgegangen.
Der BGH hat nun im Wesentlichen dieses Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Die Verkäuferin hätte die Käuferin ungefragt über den Kostenumfang aufklären müssen, der bei 50 Mio. Euro "zweifelsohne von erheblicher Bedeutung" sei. Fachlich ausgedrückt handelte es sich um sog. "offenbarungspflichtige Umstände". Der Verkäufer erfülle seine Aufklärungspflicht nur, wenn er aufgrund der Umstände die berechtigte Erwartung haben könne, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Das bloße Bereitstellen (einer Vielzahl) von Unterlagen in einem virtuellen Datenraum kurz vor Vertragsabschluss ohne entsprechenden Hinweis durch die Verkäuferin sah der BGH als unzureichend an.
Die Pflicht zur Aufklärung könne zwar in Einzelfällen entfallen, wenn bspw. bei einer Besichtigung dem Käufer Mängel buchstäblich "in die Augen springen" oder im Zusammenhang mit Mängeln ein Sachverständigengutachten überreicht werde. Ein Verkäufer könne jedoch nicht ohne weiteres erwarten, dass der Käufer Finanzierungsunterlagen oder einen ihm übergebenen Ordner mit Unterlagen zu dem Kaufobjekt auf Mängel des Kaufobjekts durchsuchen werde.
Der BGH betont mit seiner Entscheidung nun ausdrücklich, dass diese Grundsätze für alle Unternehmenstransaktionen gelten und auch bei der Verwendung virtueller Datenräumen Anwendung finden. Der Umstand allein, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet bzw. verwaltet und den Kaufinteressenten Zugriff auf die Daten ermöglicht, lasse nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen werde. Vielmehr komme es im Einzelfall darauf an, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind, welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden, wie wichtig die jeweilige Information ist, um deren Offenbarung es geht und wie leicht sie im Datenraum aufzufinden ist.
Konsequenz für die Praxis
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Verkäufer im Rahmen von Unternehmens-Transaktionen zukünftig bei der Befüllung virtueller Datenräume noch sorgfältiger agieren müssen und, wie es regelmäßig auch im Rahmen sog. "Fair Disclosure Konzepte" vorgesehen ist, offenzulegende Dokumente systematisch im Register des virtuellen Datenraums an fachlich zutreffender Stelle bereitgestellt werden sollten. Nur so kann es dem Käufer und seinen Beratern gelingen, offenbarungspflichtige Umstände auch zu identifizieren.
Sofern nicht bereits automatisiert durch einen professionellen Datenraumprovider vorgesehen, sollte die Käuferseite auch explizit darauf hingewiesen werden, dass neue, unter Umständen dann zu prüfende Dokumente, hochgeladen wurden. Ebenso sollte der Hinweis eines klaren "Cut-Off-Dates", ab dem keine Unterlagen mehr in den Datenraum eingestellt werden, im Kaufvertrag verankert werden. Auch hierdurch erfährt der Käufer ein zusätzliches Korrektiv und kann entsprechend überprüfen, ob er auch tatsächlich bis zu diesem Datum sämtliche offen gelegten Dokumente geprüft hat.
Fazit
Ob das ergangene Urteil nun in letzter Konsequenz zum Schluss führen muss, dass jeder Verkäufer vorab eine sog. "Vendor-Due-Diligence" (also eine Due-Diligence, die vom Verkäufer beauftragt wurde) durchzuführen hat, um selbst beurteilen zu können, was am Ende für die Käuferseite "offenbarungsbedürftig" ist, mag zu bezweifeln sein. Näheres hierzu könnten die schriftlichen Urteilsgründe liefern, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht sind.
Der BGH betont, dass keine gesonderte Aufklärung durch den Verkäufer erforderlich sei, wenn im Einzelfall die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Käufer bestimmte, von dem Verkäufer im Datenraum bereitgestellte Informationen (etwa im Rahmen einer vom Käufer durchgeführten Due-Diligence) wahrnehmen und in seiner Kaufentscheidung einbeziehen wird.
In Transaktionen sind Due-Diligence-Prüfungen auf der Käuferseite heute eher die Regel als die Ausnahme. Es ist jedoch nicht nur wichtig, dass eine Due-Diligence-Prüfung stattfindet, sondern auch, dass der Käufer davon ausgehen kann, die für die Transaktion relevanten Informationen zu erhalten. Jedoch ist auch hierbei die Käuferseite bei der akribischen Gestaltung von Due-Diligence Anforderungslisten in der Pflicht. Sofern die Käuferseite bei ihrer Anforderungsliste Themenbereiche explizit ausspart, wird vom Verkäufer nicht zu erwarten sein können, dass er sodann "ungefragt" Sachverhalte offenlegt. Denn auch dies könnte er nur, wenn ihm bewusst ist, dass diese Sachverhalte für die Kaufentscheidung des Käufers relevant sind, bzw. er diese überhaupt identifiziert hat.
Nach diesseitiger Auffassung tendieren dieses jüngste Urteil des BGH eher zu einer schärferen Abgrenzung zwischen "Fair Disclosure" im Rahmen einer Due-Diligence offengelegten Unterlagen und einem nahezu "arglistigen Unterjubeln" solcher.
Im Ergebnis wird eine Vendor-Due-Diligence daher nicht zwingend notwendig sein; eine sorgfältige Vorbereitung und Strukturierung der Dokumente (im Datenraum) sowie deren rechtzeitige Bereitstellung hingegen unerlässlich.
(BGH, Urteil v. 15.09.2023 , V ZR 77/22)
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