Betrug: Anwalt + Notar wegen rechtsmissbräuchlicher Abmahnaktivitäten verurteilt
Wird einem Anwalt eine Vielzahl von Wettbewerbsabmahnungen wegen kleinen Fehlern - etwa in Wiederrufsbelehrung - nachgewiesen, kann er sich, auch wenn er für einen Dritten aktiv wird, wegen Rechtsmissbrauch und Betrug schadensersatzpflichtig und darüber hinaus auch strafbar machen.
Anwalt als gut organisierter Abmahner
Ein Anwalt hatte regelmäßig im Namen eines Paares agiert, das als Textilhändler vermeintliche Wettbewerbsverstöße durch ihn rügen ließ.
Das durch die Abmahnungen erlangte Geld teilte der Anwalt mit dem Paar. Dazu wurde pro forma eine Beratungs- und Dienstleistung-Firma gegründete, die Scheinrechungen stellte.
Widerstand im Internet
Wegen dieser Aktivitäten hatte sich im Internet eine regelrechte Abwehrfront gegen den Anwalt gebildet. Als immer mehr abkassierte Opfer die Kanzlei anprangerten, endete das Abmahnwesen dort und es übernahm ein Hagener Notar, der durch das LG Hagen später ebenfalls verurteil wurde, das System.
Ablauf
Der Kläger/abmahnende Anwalt mahnte die Beklagte zunächst ab und erlangte eine einstweilige Verfügung, mahnte kurz darauf erneut ab und erlangte auch hier eine einstweilige Verfügung. Das kostete die Beklagte insgesamt 3.561,81 Euro Abmahn- und Gerichtskosten.
- Im Zivilrechtlichen Verfahren beantragte der Kläger/abmahnende Anwalt, die Beklagte zu verurteilen, je 1005,40 Euro (zzgl. Zinsen) aus beiden Abmahnungen zu zahlen.
- Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Außerdem beantragte sie im Wege der Widerklage, den Kläger dazu zu verurteilen, die bereits gezahlten Kosten zu erstatten, da die Abmahnungen des Klägers rechtsmissbräuchlich waren.
Das LG Bochum sah durch die Abmahnungen den Tatbestand des Betrugs realisiertund verurteilte den Anwalt zu
- Rückzahlung dervon der Beklagten geleisteten Beträge
- und Schadensersatz hinsichtlich der an Gerichtskasse und an deren Anwälte gezahlten Kosten.
Indiz für Rechtsmissbrauch: in einem Jahr 26 Abmahnverfahren am LG Bochum
Das Landgericht ging davon aus, dass bei den Abmahnungen, gegen die sich eine der Abgemahnten zur Wehr setzte, ein Rechtsmissbrauch anzunehmen sei.
Es begründete dies u.a. damit, dass gerichtsbekannt sei, dass bei den 4 Kammern für Handelssachen des Landgerichts Bochum im Jahre 2009 26 Verfahren bzw. Rechtsstreitigkeiten seitens des Klägers anhängig gemacht wurden.
In 9 Monaten ca. 40 Abmahnungen ausgesprochen
Das Gericht sah noch weitere Hinweise für Abmahnmissbrauch: In einem der früheren Verfahren hatte der Anwalt selbst eingeräumt, dass er in 9 Monaten ca. 40 Abmahnungen ausgesprochen habe.
In einem Fall hatte er, nachdem der Betroffene nach der ersten Abmahnung eine von dem Kläger formulierte vertragsstrafenbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, in der sie sich verpflichtete, die Verwendung der beanstandeten Klauseln bei Meidung einer Vertragsstrafe von 5.000,00 EUR für jeden Fall der auch nicht schuldhaften Zuwiderhandlung zu unterlassen, bereits am Folgetag – einem Samstag – den Internetauftritt überprüft und die Vertragsstrafe gefordert und zur Abgabe einer weiteren strafbewehrten Unterlassungserklärung mit einer Vertragsstrafe von 6.000,00 EUR für jeden Fall der auch nicht schuldhaften Zuwiderhandlung aufgefordert.
Auch in anderen Fällen hatte der Kläger Vertragsstrafen in Höhe von 5.100 Euro auch für jeden Fall der nicht schuldhaften Zuwiderhandlung verlangt und die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung zeitnah überprüft.
Gericht hat der Widerklage des Abgemahnten auf Schadensersatz stattgegeben
Das Gericht hat nicht nur die Abmahnung wegen Rechtsmissbrauch als unzulässig eingeordnet, sondern auch der Widerklage des Abgemahnten auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB und § 826 BGB stattgegeben hat.
Betrug durch Vortäuschen einer begründeten Abmahnung
Da derAnwalt bei den Abmahnungen rechtsmissbräuchlich handelte, hat er nach Ansicht des Gerichts durch Vortäuschen einer begründeten Abmahnung die Beklagte vorsätzlich geschädigt. Der Schaden beläuft sich auf den mit dem Widerklageantrag geltend gemachten Betrag. Der Kläger ist daher zur Zahlung des geltend gemachten Betrages als Schadensersatz verpflichtet..“
(LG Bochum, Urteil v. 5.5.2010, I - 13 O 217/09).
Strafbefehl dazu
Hinzu kam eine Verurteilung durch Strafbefehl durch das LG Bochum (12 O 80/08) über eine zur Bewährung ausgesetzten Haftstrafe in Höhe von 11 Monaten und 7500 Euro Geldbuße.
Der Notar erhielt vom Hagener Landgericht einen Strafbefehl über 12.000 Euro (8 O 133/08).
Praxishinweis: Obwohl diese Sichtweise des LG Bochum in der Rechtsprechung vorhanden (ähnlich entschied früher z.B. schon das LG Berlin (Urteil v. 18.01.2007, 16 O 570/06), aber nicht verbreitet ist, wird sie von einigen Seiten begrüßt, da so nicht nur missbräuchlich Abmahnene, sondern auch der rechtsmissbräuchlich abmahnende Rechtsanwalt wirksam ausgebremst werden könnten.
Allerdings könnte diese Entscheidung bei berechtigten Abmahnungen zweckentfremdet eingesetzt werden, um Abmahnende einzuschüchtern und so einer Unterlassungserklärung auszuweichen.
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