Rangrücktritt in Standardverträgen kann unwirksam sein
Hintergrund
In dem erst kürzlich veröffentlichten Urteil ging es um die Wirksamkeit eines Rangrücktritts für Darlehen, die nicht an der Gesellschaft beteiligte Dritte der Gesellschaft in der Krise gewährten. Die entsprechenden (Standard-)Verträge sahen vor, dass die Investoren der Beklagten ein fest verzinsliches Darlehen überließen, wobei ein Rangrücktritt zur Vermeidung der Überschuldung vereinbart wurde. Der klagende Investor ist der Auffassung, dass die Vereinbarung über den qualifizierten Rangrücktritt unwirksam sei. Seine Berufung hatte Erfolg.
Das Urteil des OLG München vom 25.04.2018, Az.: 13 U 2823/17
Das OLG München stellte klar, dass es sich bei diesen Verträgen (vorformulierte Standardverträge, die nicht ausgehandelt wurden) um „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB) handelte. Der Rangrücktritt benachteilige den Kläger unangemessen und sei damit unwirksam. Denn die Forderung trete bereits in einer Krise der Beklagten hinter die Forderungen anderer Gläubiger zurück, sodass die Rückzahlung des Darlehens bereits zu diesem Zeitpunkt nicht verlangt werden könne. Zudem sei der Kläger als Darlehensgeber auch grundsätzlich daran gehindert, gegen die Beklagte einen Insolvenzantrag zu stellen, da ein mit einem qualifizierten Rangrücktritt versehenes Darlehen nicht die Insolvenz des Darlehensnehmers auslösen dürfe.
Damit nähere sich das Nachrangdarlehen letztlich einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an, ohne dass dem Kläger die einem Gesellschafter bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage (also nicht erst in der Krise) des Unternehmens eröffneten Informationsrechte zustünden. Ferner entwerte der Rangrücktritt das außerordentliche Kündigungsrecht des Darlehensnehmers, da selbst bei außerordentlicher Kündigung das Darlehen aufgrund des Rangrücktritts nicht unmittelbar fällig werde.
Anmerkung
Der Fall mag unter Anlegerschutzgesichtspunkten nachvollziehbar sein, die Entscheidung ist aber vor allem im Startup-Bereich extrem bedeutsam. Ausschlaggebend für das Urteil war das deutsche AGB-Recht, das vereinfacht gesagt sehr strenge Anforderungen an die Ausgewogenheit eines Vertrages stellt, der als Standardvertrag vorformuliert und nicht (nachweisbar) verhandelt wurde. Im B2B gelten zwar erleichterte Anforderungen, aber frei sind die Parteien nicht.
In dem entschiedenen Sachverhalt gab es zwar zwei Gründe, die eindeutig für einen Rangrücktritt sprachen: Die Vermeidung der Insolvenz der Gesellschaft und die Vermeidung der erforderlichen Bankerlaubnis (da diese nach der BaFin nicht für mit einem Rangrücktritt versehene Darlehen gilt). Solch eine Gestaltung ist auch bei Gesellschaftern sehr üblich, die Darlehen in der Krise gewähren – solche vorformulierten Verträge dürften auch nach dem Urteil des OLG München künftig noch zulässig sein, sollten aber sorgfältig unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit sowie B2B oder B2C-Situation geprüft werden.
Im Ergebnis leitete das OLG München aber vor allem wegen der schlechteren Stellung der Darlehensgeber ggü. einem Gesellschafter die Unwirksamkeit her. Insofern könnte man durch entsprechende Informationsrechte ggfs. einen AGB-festen Rangrücktritt erreichen – die Informationsrechte werden freilich nicht immer gewollt sein.
Aber auch im Rahmen von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen (sog. ESOP) werden regelmäßig Rangrücktrittsvereinbarungen in Standardverträgen getroffen. Denn gerade ein Startup mit einem geringen Eigenkapital kann durch eine Passivierung der Zahlungspflichten im Exit-Fall schnell überschuldet werden, zumal der Kaufpreis beim Share Deal an die Gesellschafter (und nicht die idR zahlungspflichtige Gesellschaft) fließt. Dem kann nur mit einem Rangrücktritt (und/oder einer Finanzierungspflicht der Gesellschafter) begegnet werden. Als regelmäßig freiwillige Leistung der Gesellschaft an die Mitarbeiter sollten für das ESOP jedoch erleichterte Anforderungen gelten und ein solcher Rangrücktritt wirksam sein. Dennoch sollten Startups darauf achten, den Rangrücktritt im ESOP mit jedem Mitarbeiter möglichst auszuhandeln und prüfen, ob die Mitarbeiter noch besondere Informationsrechte über die Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft erhalten sollen.
Rechtsanwälte
Dr. Jan Henning Martens und
Dr. Meike Kapp-Schwoerer,
Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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