Erhebliche Einschränkungen für den Rückzug von der Börse (Delisting)
Vorgeschichte
Im Herbst 2013 hatte der BGH in einem viel beachteten Beschluss („FroSta“-Beschluss vom 08.10.2013, Az. II ZB 26/12) entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung („Macrotron“-Urteil vom 25.11.2002, Az. II ZR 133/01) entschieden, dass ein Delisting vom geregelten Markt weder einer Zustimmung durch die Hauptversammlung bedürfe, noch ein Abfindungsangebot nötig sei. Bis zu diesem Zeitpunkt ging die Praxis immer von diesen Erfordernissen aus, die Abfindungshöhe konnte im Spruchverfahren gerichtlich überprüft werden. Denn ein Delisting berührte nach Auffassung des BGH von 2002 die Rechte der Aktionäre so stark, dass sie geschützt werden müssten. Diese Auffassung revidierte der BGH jedoch mit seinem FroSta-Beschluss in 2013, nachdem das Bundesverfassungsgericht dem „Macrotron“-Urteil am 11.07.2012 (Az. 1 BvR 3142/07) widersprach.
Nach dem FroSta-Beschluss haben allein 2014 rund 40 Unternehmen ihren Rückzug von der Börse angekündigt.
Die neue Rechtslage
Der Bundestag hat nun beschlossen, dass dem Delisting immer ein Übernahmeangebot vorangehen muss, wonach den Aktionären eine Gegenleistung in bar zu gewähren ist (§ 39 Abs. 2 BörsG). Dies gilt nicht, wenn die Aktien noch an einem anderen geregelten Markt im Inland und im EU-/EWR-Ausland gelistet sind und dort ähnlich strenge Voraussetzungen für das Delisting gelten. Der Mindestpreis hat dem gewichteten Sechsmonats-Durchschnittskurs zu entsprechen. Hat der Bieter aber innerhalb von einem Jahr direkt oder indirekt die Aktien zu einem höheren Preis erworben, oder zahlt er innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Übernahmeangebotes außerbörslich einen höheren Preis, ist der höhere Preis maßgeblich. Eine Berechnung der Abfindung auf Grundlage einer Unternehmensbewertung ist nicht mehr erforderlich. Allerdings ist eine Bewertung dann nötig, wenn der Börsenkurs durch eine unterlassene oder unzutreffende ad hoc-Mitteilung des Emittenten beeinträchtigt wird oder der Börsenkurs nicht aussagekräftig ist (s. § 5 Abs. 4 der WpÜG-Angebotsverordnung).
Das Übernahmeangebot muss sich auf den Erwerb aller Aktien des Emittenten beziehen und darf keine Bedingungen enthalten. Hierdurch entspricht die neue Rechtslage einem Pflichtangebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG).
Anmerkung
Der Gesetzgeber hat auf die laute Kritik der Aktionärsschützer reagiert und mit den Änderungen des Börsengesetzes die Möglichkeiten für einen Widerruf der Zulassung stark eingeschränkt. Die Neuregelung gilt nicht nur für den vollständigen Rückzug von der Börse, sondern auch für einen Wechsel vom geregelten Markt in den Freiverkehr. Der Segmentswechsel innerhalb des geregelten Marktes (z. B. vom Prime Standard in den General Standard) ist hiervon nicht betroffen. Im Ergebnis haben die Aktionäre bei einem Delisting nun wie vor der FroSta-Entscheidung einen Anspruch auf eine angemessene Abfindung. Ein Hauptversammlungsbeschluss ist nicht mehr nötig. Außerdem wird nun vermieden, dass Aktionäre im Rahmen eines Delistings auf eine andere Abfindung spekulieren, als im Rahmen eines Übernahmeangebots angeboten wurde. Während vor der FroSta-Entscheidung auf Grund von Streitigkeiten über die Unternehmensbewertung oftmals unterschiedliche Abfindungen gezahlt werden mussten, genügt nun die von der BaFin genehmigte Gegenleistung.
Bereits ab dem 07.09.2015 beantragte Delistings sind hiervon allerdings auch betroffen, hier kann ein öffentliches Übernahmeangebot nachgeholt oder der Antrag zurückgenommen werden.
Nicht geregelt ist bspw. das Delisting eines insolventen Unternehmens. Vor der FroSta-Entscheidung wurde einem Delisting-Antrag auch ohne entsprechenden Beschluss oder Abfindung teilweise stattgegeben, insbesondere bei einer Veräußerung des operativen Betriebs, geringen Umsätzen und einem Börsenkurs im Cent-Bereich. Nun dürfte ein Delisting nach einer Insolvenz nicht möglich sein, sondern die Notierung muss voraussichtlich bis zu einer Liquidierung des Unternehmens beibehalten werden. Es bleibt zu abzuwarten, ob die BaFin, Gerichte oder der Gesetzgeber hierzu einen pragmatischen Weg finden, um Insolvenzverwaltern ein Delisting nach wie vor zu ermöglichen.
Insgesamt ist die neue Rechtslage aber gut handhabbar, da der Gesetzgeber auf bewährte Regelungen des WpÜG zurückgreift.
Rechtsanwälte Dr. Hendrik Thies, Dr. Jan Henning Martens, Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
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Haufe Online Redaktion Recht