Entfällt der komplette Unfallversicherungsschutz bei deutlichen Vorschäden?
Eine Frau engagiert sich als Übungsleiterin in einem Sportverein. Als sie einem zehnjährigen Jungen, der einen Flickflack versucht, Hilfestellung gibt, passiert es: Bei einer Drehbewegung kommt die Frau zu Fall. Zwar kann sie sich mit den Händen auf der Matte abstützen, doch unmittelbar nach der Aktion spürt sie einen starken Schmerz im Rücken.
Deutliche Schäden an Bandscheibe
Am folgenden Tag kann sie nicht mehr alleine aus dem Bett aufstehen,
- zwei bis drei Tage später kann sie sogar nicht mehr auf dem linken Bein stehen und es folgen sogar Ohnmachtsanfälle.
- Eine Untersuchung im MRT ergibt: Sie hat im Lendenwirbelbereich eine Bandscheibenprotusion (Vorwölbung) und eine Spinalkanalstenose (Verengung eines Wirbelkanals).
Bei ihrer privaten Unfallversicherung macht sie 14 Monate nach dem Unfall Ansprüche in Höhe von 34.000 Euro geltend, weil nach wie vor ihre Beweglichkeit deutlich eingeschränkt ist und aus dem Lendenwirbelbereich Schmerzen ins linke Bein ausstrahlen.
Versicherung: aufgrund Vorschädigung keine Unfallfolge
Doch die Versicherung weigert sich die Ansprüche anzuerkennen.
- Sie begründet das damit, dass laut eines Gutachtens die Spinalkanalstenose bereits vor dem Unfall bestanden haben müsse.
- Die Bandscheibenprotrusion sei zudem nicht als bedingungsgemäße Unfallfolge zu werten.
Kausalzusammenhang von Unfall und Beeinträchtigung
Der BGH sah keinen Grund für einen generellen Leistungsausschluss.
- Letztlich ging es um die strittige Frage des Kausalzusammenhangs von Unfall und Gesundheitsbeeinträchtigung.
- Nach der Äquivalenztheorie besteht dieser, wenn der Unfall nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Gesundheitsschaden entfällt.
BGH: Mitursächlichkeit des Unfalls reicht aus reicht aus
Nach Auffassung des BGH reicht bereits eine Mitursächlichkeit, um einen Anspruch zu begründen. Dies ergebe sich schon aus den Versicherungsbedingungen. Denn Nr. 3 AUB 2000 sieht bei der Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen, also unfallfremden Faktoren, keinen Ausschluss, sondern nur eine Anspruchsminderung entsprechend dem Mitwirkungsanteil vor.
Auch wenn Vorschäden bestehen, schließt das für sich genommen die Kausalität nicht aus, urteilte der BGH.
Die Adäquanzerfordernis bezwecke nicht, die Folgen von Gesundheitsschädigungen, die nahezu ausschließlich durch die gesundheitliche Verfassung geprägt sind, von vornherein vom Versicherungsschutz auszuschließen.
Sicht der Versicherungsnehmer muss Rechnung getragen werden
Das Gericht befasste sich auch mit der Frage, wovon ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ausgehen darf. Der werde nämlich gerade aus der Regelung über die Mitwirkung von Krankheiten und Gebrechen an der durch den Unfall verursachten Gesundheitsschädigung schließen, dass er im Grundsatz auch dann Versicherungsschutz genieße, wenn Unfallfolgen durch eine bereits vor dem Unfall bestehende besondere gesundheitliche Disposition verschlimmert werden.
(BGH, Urteil v. 19.10.2016, IV ZR 521/14).
Hintergrund: Für Versicherungsleistungen aufgrund eines Unfallereignisses muss der Gesundheitsschaden aufgrund des Unfalles entstanden sein. Ist anzunehmen, dass der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre, ist dieses nicht als ursächlich anzusehen und Kausalität zwischen Unfall und Gesundheitsschaden nicht gegeben.
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