Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG stellt keine europarechtswidrige Beihilfe dar
Der Hintergrund des Urteils – die sog. Sanierungsklausel
Die Entscheidung des EuGH betrifft die sog. Sanierungsklausel in § 8c Abs. 1a KStG. Danach bleiben die Verlustvorträge eines Unternehmens in Sanierungsfällen auch dann erhalten, wenn über 25 % der Anteile an dem betroffenen Unternehmen veräußert werden und damit ein sog. schädlicher Beteiligungserwerb vorliegt. Die Sanierungsklausel stellt damit eine Ausnahme von der Regelung in § 8c Abs. 1 KStG dar, nach dem bei einem schädlichen Beteiligungserwerb die Verlustvorträge des Unternehmens, dessen Anteile verkauft werden, ganz oder teilweise wegfallen und nicht mehr genutzt werden können.
Die Sanierungsklausel stieß auf den Widerstand der Europäischen Kommission: 2011 beurteilte diese die Regelung als europarechtlich unzulässige Beihilfe und forderte die Bundesrepublik Deutschland zur Rückforderung der aufgrund der Sanierungsklausel gezahlten Beihilfen von den begünstigten Unternehmen auf. Die Sanierungsklausel wurde seitdem nicht mehr angewendet.
Mehrere Unternehmen klagten vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) gegen den Beschluss der Kommission. Nachdem diese Klagen erfolglos blieben, wandte sich u.a. die Heitkamp BauHolding GmbH bzw. deren Insolvenzverwalter – unterstützt von der Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin – mit einem Rechtsmittel an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Das Urteil des EuGH vom 28.06.2018 (Az.: C-203/16 P)
Das Rechtsmittel der Heitkamp BauHolding GmbH vor dem EuGH war – ebenso wie das Rechtsmittel in der Parallelsache (Az. C-219/16 P) – erfolgreich. Entsprechend der Schlussanträge des Generalanwalts erklärte der EuGH den Beschluss der Europäischen Kommission für nichtig.
Der EuGH prüfte dabei v.a. den sog. selektiven Charakter der Sanierungsklausel. Denn eine europarechtswidrige Beihilfe liegt nur vor, wenn eine nationale Maßnahme bestimmte Unternehmen gegenüber vergleichbaren Unternehmen begünstigt (also selektiven Charakter hat). Es wird dabei – einfach gesprochen – u.a. geprüft, ob eine Maßnahme dem gesetzlichen Regelfall (sog. Referenzsystem) entspricht (dann scheidet eine unzulässige Beihilfe aus) oder ob es sich um eine begünstigende Ausnahmeregelung handelt (dann kann bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen eine unzulässige Beihilfe vorliegen).
Die Kommission und ihr folgend der EuG hatten sich auf den Standpunkt gestellt, dass das Entfallen von Verlustvorträgen bei Anteilsübertragungen ab 25 % den Regelfall darstelle. Wenn Verlustvorträge folglich im Rahmen der Sanierungsklausel erhalten blieben, stelle dies eine Ausnahme und damit eine Maßnahme mit selektivem Charakter dar. Der EuGH wandte sich gegen diese Argumentation und ging davon aus, dass die Kommission den selektiven Charakter der Sanierungsklausel falsch ermittelt habe. Den Regelfall – so der EuGH – stelle die Fortführung von Verlustvorträgen dar; das Entfallen von Verlustvorträgen bei dem sog. schädlichen Beteiligungserwerb sei die Ausnahme. Konsequenterweise folgerte der EuGH, dass die Fortführung von Verlustvorträgen im Falle einer Sanierung demnach nur den Regelfall wieder herstelle und damit keine selektive Sonderbehandlung sei.
Die Auswirkungen des Urteils in der Praxis
Die Entscheidung des EuGH ist ein begrüßenswerter Lichtblick für den deutschen Restrukturierungsmarkt im Ganzen wie für betroffene Unternehmen im Einzelnen. Diese können nun nämlich darauf hoffen, bald – in allen noch offenen und nicht bestandkräftigen Fällen auch rückwirkend bis zum Jahre 2008 – von den Vorteilen der Sanierungsklausel profitieren zu können. Dass der deutsche Gesetzgeber angesichts des Beschlusses der Kommission in § 34 Abs. 6 KStG die Sanierungsklausel nicht aufgehoben, sondern nur ihre Anwendung suspendiert hatte, kommt den betroffenen Unternehmen jetzt voraussichtlich zugute: die Sanierungsklausel tritt nämlich – ohne dass ein neues Gesetzgebungsverfahren erforderlich wäre – automatisch wieder in Kraft, sobald das Urteil des EuGH im Bundesgesetzblatt veröffentlicht ist.
Trotz aller Euphorie sollte die Veröffentlichung des Urteils im Bundesgesetzblatt abgewartet werden, bevor eine auf die wieder aufgelebte Sanierungsklausel aufbauende Unternehmenssanierung gestaltet wird. Dies gilt insbesondere deswegen, weil bedauerlicherweise § 34 Abs. 6 KStG nicht vollkommen eindeutig formuliert ist: Danach setzt das Aufleben der Sanierungsklausel nämlich nicht nur die Nichtigerklärung des Kommissionsbeschlusses voraus, sondern außerdem die Feststellung, dass die Sanierungsklausel keine unzulässige Beihilfe darstellt (und diese Feststellung ist so im Tenor des EuGH-Urteils nicht enthalten). Angesichts der Gesetzesbegründung ist es jedoch naheliegend und wird in der Praxis auch erwartet, dass das Urteil des EuGH von den deutschen Steuerbehörden als ausreichend für ein Aufleben der Sanierungsklausel angesehen wird. Dies gilt auch deswegen, weil nicht ersichtlich ist, mit welcher Begründung die Kommission angesichts der klaren Positionierung des EuGH jetzt noch eine europarechtlich unzulässige Beihilfe annehmen sollte.
Die Voraussetzungen der Sanierungsklausel sind – wenn diese wieder Anwendung findet – unverändert. So bleiben die Verlustvorträge im Falle eines schädigenden Beteiligungserwerbs nur erhalten, wenn
- der Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung erfolgt,
- das Unternehmen bei Erwerb zahlungsunfähig oder überschuldet bzw. davon bedroht ist,
- die wesentlichen Betriebsstrukturen erhalten bleiben,
- innerhalb von fünf Jahren nach dem Beteiligungserwerb kein Branchenwechsel erfolgt und
- der Geschäftsbetrieb des Unternehmens beim Beteiligungserwerb nicht eingestellt wurde.
Darüber hinaus sind auch nach dem Urteil des EuGH einige Fragen in Bezug auf die zukünftige Anwendung der wiederbelebten Sanierungsklausel offen. So wird voraussichtlich das Zusammenspiel zwischen der Sanierungsklausel und der Regelung in § 8d KStG zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag noch einige Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art aufwerfen. Ebenso stehen nach wie vor Neuregelungen zur Besteuerung von Sanierungsgewinnen und – nach dem Beschluss des BVerfG vom 29.03.2017 (Az. 2 BvL 6/11) – zur Behandlung von Verlustvorträgen beim Erwerb von Minderheitsbeteiligungen (25 – 50 % der Anteile) aus. Wie diese mit der Sanierungsklausel zusammenwirken werden, bleibt abzuwarten.
Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel und Tina Bieniek, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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