EuGH zum Recht auf Vergessenwerden
Hintergrund
Bei der Eingabe seines Namens in eine Suchmaschine entdeckte ein spanischer Bürger, dass die Ergebnisliste Links zu zwei Seiten einer Tageszeitung aus dem Jahr 1998 enthielt. Auf diesen Seiten fand sich eine Anzeige mit Hinweis zu einer erfolgten Zwangsversteigerung, in der sein Name genannt wurde. Hierüber beschwerte er sich bei der spanischen Datenschutzbehörde und verlangte die Entfernung dieser Links. Die spanische Datenschutzbehörde wies den Suchmaschinenbetreiber an, diese Links zu entfernen, wogegen dieser Klage erhob. Das zuständige Gericht setzte das Verfahren aus und legte die Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vor.
EuGH, Urteil v. 13.5.2014, C-131/12
Der EuGH stellte zunächst fest, dass das spanische Datenschutzrecht anwendbar sei. Auch wenn der Suchmaschinenbetreiber in Spanien lediglich eine Tochtergesellschaft habe, die für den Verkauf von Werbung und Marketing zuständig sei und der tatsächliche Betrieb der Suchmaschine in den USA stattfinde, seien die beiden Tätigkeiten so eng miteinander verknüpft, dass die Anwendung des nationalen Datenschutzrechts geboten sei.
Aus dem Datenschutzrecht könne sich dann die Pflicht des Suchmaschinenbetreibers ergeben, Links zu von Dritten veröffentlichten Internetseiten mit Informationen zu einer Person zu entfernen, auch wenn diese Informationen auf den betreffenden Internetseiten nicht vorher oder gleichzeitig gelöscht werden. Dies gelte gegebenenfalls auch dann, wenn ihre Veröffentlichung auf den Internetseiten als solche rechtmäßig ist. Dabei sei insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichung in der Ergebnisliste einen stärkeren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte darstellen könne als die Veröffentlichung selbst. Nur durch die Suchmaschine sei die Information schließlich für Internetnutzer überhaupt auffindbar.
Grundsätzlich überwiege dabei das Recht einer Person, dass Informationen der breiten Öffentlichkeit nicht mehr durch Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste zur Verfügung gestellt werden. Nur wenn sich aus besonderen Gründen ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit auf Zugang zu den betreffenden Informationen ergäbe, sei eine andere Abwägung gerechtfertigt.
Hinweis
Die Entscheidung des EuGH ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: Zunächst handelt es sich um einen der seltenen Fällen, in denen der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts am EuGH nahezu vollständig widerspricht. Dieser hatte noch im Juni 2013 eine Verantwortung des Suchmaschinenbetreibers abgelehnt.
Anmerkung
Weitreichende Folgen könnte auch die Entscheidung des EuGH zur Frage der Anwendbarkeit des europäischen Datenschutzrechts haben. Bei den großen Anbietern von Suchmaschinen und sozialen Netzwerken wird die tatsächliche Tätigkeit regelmäßig in den USA ausgeübt und es bestehen – gerade auch in Deutschland – bloße Vertriebstöchter oder –niederlassungen in Europa. Bislang taten sich die Datenschutzbehörden außerordentlich schwer, diese Unternehmen zur Einhaltung der strengen deutschen bzw. europäischen Datenschutzregelungen zu bewegen. So hatte das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht noch im April 2013 die Auffassung vertreten, dass in einer vergleichbaren Konstellation kein deutsches Datenschutzrecht anwendbar sei. Es wird abzuwarten sein, ob die Datenschutzbehörden diese Steilvorlage des EuGH nutzen werden, um – ggfs. auch mit Sanktionen – gegen die recht offenkundigen Datenschutzverstöße der meist US-amerikanischen Betreiber vorzugehen.
Inhaltlich wird die Entscheidung des EuGH in ersten Reaktionen überwiegend scharf kritisiert. Der Suchmaschinenbetreiber werde in eine Situation gebracht, in der die Ablehnung einer Löschung äußerst riskant sei. Neben gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Betroffenen drohen bei Datenschutzverstößen nämlich auch – teils erhebliche – Bußgelder. Teilweise wird daher insbesondere eine Zensur von unbequemen Informationen befürchtet – unabhängig davon, ob die eigentliche Veröffentlichung zulässig ist.
Die Entscheidung wirft allerdings auch einige Fragen auf, von deren Beantwortung die letztendliche Einschätzung dieses Urteils abhängt. Zunächst einmal wird man abwarten müssen, ob die Suchmaschinenbetreiber tatsächlich ohne weiteres klein bei geben. Andernfalls werden wohl die nationalen Gerichte entscheiden müssen, in welchen Fällen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit besteht und eine Verlinkung zulässig beleibt. Hierzu hat sich der EuGH naturgemäß nur äußerst allgemein geäußert.
Unbeantwortet ist bislang auch, ob die Suchmaschinenbetreiber nur dann zur Löschung verpflichtet sind, wenn sie durch die betroffene Person oder eine Behörde aufgefordert werden, oder ob sie von sich aus prüfen müssten, ob die Verlinkung zulässig ist. Jedenfalls das deutsche Datenschutzrecht verlangt unter bestimmten Voraussetzungen eine Löschung von Daten auch ohne vorherige Aufforderung der betroffenen Person. Umsetzbar wäre dies wohl kaum und kann daher auch nicht gewollt sein: in letzter Konsequenz wäre das dann nämlich das (europäische) Ende der Suchmaschinen.
Bei aller Kritik bietet die Entscheidung aber auch die Chance gegen die Auffindbarkeit persönlicher Informationen vorzugehen, wozu bislang – zum Beispiel mangels Zugriff auf die Seitenbetreiber – nur wenige Möglichkeiten bestanden. Nach der Entscheidung des EuGH wird sich wohl kaum argumentieren lassen, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der Auffindbarkeit besteht, wenn es sich um rufschädigende oder beleidigende Inhalte handelt oder sich die Anbieter ganz bewusst dem Zugriff der staatlichen Gerichte entziehen.
Rechtsanwälte Dr. Frank Jungfleisch; Sebastian Hoegl, LL.M. (Wellington), Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
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