Haftung auch bei Kenntniserlangung des Insolvenzgrundes als Geschäftsführer der Muttergesellschaft
Beklagter war Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und davor schon der Muttergesellschaft
Der Beklagte war im Februar 2014 zum Geschäftsführer einer nunmehr insolventen GmbH bestellt worden. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits seit 9 Monaten Geschäftsführer der an dieser Insolvenzschuldnerin mit 75 % beteiligten Muttergesellschaft. Ab dem Tag nach seiner Bestellung zum Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wurden – durch dafür zeichnungsbefugte Personen, nicht jedoch durch den Beklagten selbst – für die Insolvenzschuldnerin verschiedene Zahlungen im Gesamtbetrag von knapp 50.000 EUR geleistet, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits überschuldet bzw. zahlungsunfähig war. Wegen dieser Zahlungen nahm der Insolvenzverwalter den Beklagten auf Rückzahlung nach § 64 Satz 1 GmbHG in Anspruch und gewann in 1. Instanz. Dagegen legte der Beklagte Berufung ein.
Urteil des OLG München v. 05.10.2016 – Az. 7 U 1996/16
Die Berufung blieb weitgehend erfolglos; das OLG München sah die Voraussetzungen der Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG als erfüllt an und verurteilte ihn zur Rückzahlung. Seine Haftung entfiel weder dadurch, dass er nur übergangsweise als „kommissarischer Geschäftsführer“ eingesetzt werden sollte, noch dadurch, dass die (lediglich deklaratorische) Handelsregistereintragung seiner Bestellung erst nach den Zahlungen erfolgt war. Zuletzt führte das Gericht aus, es sei für das Verschulden bezüglich der Zahlungen ausreichend, dass der Beklagte bereits monatelang Geschäftsführer der Muttergesellschaft gewesen sei und als solcher von der wirtschaftlichen Situation der Insolvenzschuldnerin und deren Insolvenzreife gewusst habe. Selbst wenn er die haftungsbegründenden Zahlungen nicht selbst ausgeführt habe, hätten diese Kenntnisse ihn jedenfalls dazu verpflichtet, die Zeichnungsbefugnis anderer Personen für die Insolvenzschuldnerin zu widerrufen und masseschmälernde Zahlungen damit zu verhindern.
Geschäftsführer und andere leitende Angestellte aufgepasst
Die Haftung für masseschmälernde Zahlungen nach § 64 GmbHG ist ein scharfes Schwert. Gerade weil es in solchen Fällen nicht nur die Pflicht des Geschäftsführers ist, masseschmälernde Zahlungen selbst zu unterlassen, sondern er darüber hinaus auch verhindern muss, dass andere Personen derartige Zahlungen veranlassen, sei der „Doppel-Geschäftsführer“ zur besonderen Vorsicht gemahnt. Das OLG München erweitert diese Haftung nun auf einen weiteren Fall: den Geschäftsführer, der für die Mutter- sowie die Tochtergesellschaft tätig ist.
Derartige Konstellationen sind keine Seltenheit; zu denken sei nur an Fälle, in denen in der Tochtergesellschaft vorerst ein geeigneter Geschäftsführer fehlt und die Muttergesellschaft zur Vermeidung einer Führungslosigkeit zwischenzeitlich ihren eigenen Geschäftsführer einsetzt. Geschäftsführern ist in diesem Fall zur Vorsicht zu raten, da ihnen Kenntnisse zum Nachteil gereichen können, die sie bereits vor ihrer Bestellung zum Geschäftsführer der insolvenzreifen Gesellschaft als Geschäftsführer der Muttergesellschaft erlangt haben. Denkbar ist insbesondere, dass eine Kenntnis der Muttergesellschaft bzw. ihrer Geschäftsführer über eine etwaige Überschuldung aus den Jahresabschlüssen der Tochtergesellschaft herrührt, welche die Muttergesellschaft (vertreten durch ihren Geschäftsführer) als Gesellschafterin regelmäßig feststellt.
Auch andere leitende Angestellte von Muttergesellschaften, die zu einem späteren Zeitpunkt als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft eingesetzt werden, sollten sich der Problematik bewusst sein – denn obgleich so noch nicht entschieden: es ist davon auszugehen, dass auch ihnen Kenntnisse aus der Muttergesellschaft bei der späteren Geschäftsführungstätigkeit zugerechnet werden.
Rechtsanwälte Dr. Stefan Lammel, Tina Bieniek, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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